Hausgemachte Probleme der LINKEN in der Vorwahlzeit

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LIKE ODER DISLIKE FÜR SAHRA WAGENKNECHT

von Thies Gleiss

Das Jahr 2017 wird aus bundesdeutscher Sicht durch eine Reihe von Parlamentswahlen und die Bundespräsidentenwahl geprägt. Die Wahl vom gegenwärtigen Außenminister Steinmeier zum neuen Bundespräsidenten scheint nach einer Absprache zwischen der SPD und der CDU/CSU nicht mehr gefährdet zu sein. Interessant ist dabei nur der Nebenaspekt, dass diese Absprache offenkundig eine weitere Verzichtserklärung der SPD für eine Koalition mit Grünen und LINKE darstellt. Bei Umfragewerten von unter 40 Prozent für diese drei Parteien zusammen und nur noch 20 Prozent für die SPD, ist dieser etwas farb-euphemistisch als „Rot-Rot-Grüne“-Regierungsoption (oder noch schillernder „R2G“) bezeichnete Regierungswechsel aber schon geraume Zeit außer Sichtweite. Die SPD – von ihrer Hartz-IV-Geschichte und dem absoluten Verschleiß ihres Personals gebeutelt – hat sich mit ihrer einzigen Chance, nur als Juniorpartnerin in einer nächsten „Großen Koalition“ weiterhin an der Regierung beteiligt zu sein, abgefunden. Die Idee, sich in einer Opposition zu erneuern, mag in den unteren Etagen der SPD auf Sympathie stoßen, für die Damen und Herren der Partei- und Regierungselite ist das kein wirkliches Nachdenken wert. So ist das wahrscheinliche Ergebnis der Bundestagswahlen kein großes Spekulationsthema. Interessanter ist, wie setzt sich der Rechtstrend in der deutschen Politik fort. Bleibt es beim Anstieg der WählerInnen-Unterstützung für die Alternative für Deutschland (AfD) und der ideologischen Anpassung der Unionsparteien, der Grünen und der SPD an diese rechte Offensive? Nicht unwesentlich dabei ist natürlich die politische Performance der Partei DIE LINKE, weil es politische Binsenweisheit ist, dass das weitere Anwachsen oder Schrumpfen eines rechten Pols in der Gesellschaft ganz wesentlich von der Existenz und dem politischen Handeln eines linkes Pols abhängt.

Schräge Spiele bei der LINKEN

Die LINKE leistet sich trotz einer klaren gesellschaftlichen Hauptaufgabe – eine breite und nachhaltige linke Antwort auf den rechten Vormarsch zu geben – einige merkwürdige, fast esoterische Sperenzchen. Ein – insbesondere in den Parlamentsfraktionen im Bund und den Ländern angesiedelter – Teil der Partei träumt unbeirrt von einer Regierungsoption mit SPD und Grünen. Nichts scheint sie zu verunsichern. Kein Affront durch den SPD-CDU-Coup bei der Bundespräsidentenwahl; nicht die CDU-Hofierung bei großen Teilen der Grünen; kein wahrscheinlicher SPD-Kanzlerkandidat (wenn bei 20 Prozent davon überhaupt noch gesprochen werden kann) Siegmar Gabriel; keine konkrete von der SPD unterstützte oder gar lancierte Regierungsmaßnahme; kein skandalöser Umgang mit Personal der LINKEN in Berlin. Es gibt allerdings auch so gut wie keine gesellschaftliche Bewegung – weder in den Gewerkschaften, den Betrieben noch bei sozialen Bewegungen – für „Rot-Rot-Grün“. So tummeln sich die BerufspolitikerInnen der LINKEN und einige der SPD und der Grünen bei eigens dafür veranstalteten Partys, klopfen sich gegenseitig auf die Schulter und lassen Wein und Gebäck kreisen. Außer bei denen, die dabei gewesen sind, und denen, die aus journalistischer oder karrierebedingter Pflicht mitmachen müssen, wecken diese R2G-Partys kein Interesse. Das lustige Schreiben vom R2G-Thinktank, Institut für solidarische Moderne, dass Rot-Rot-Grün doch so schön wäre, wenn es zu einer gesellschaftlichen Bewegung werden würde, ist nicht mehr als eine sozialphilosophische Petitesse geblieben.

Es ist an der Zeit, dass die LINKE aus Wahlkampfgründen, und ausdrücklich nicht als grundsätzliches Bekenntnis, laut und deutlich sagen würde: Schluss mit diesen R2G-Quatsch, die LINKE ist die Opposition, und das ist gut so. Ein solcher öffentlicher Beschluss würde deutlich mehr Linie und Stimmung in die Wahlkampfvorbereitungen der LINKEN bringen. Vermutlich würde das sogar die wenigen R2G-Fans außerhalb der parlamentarischen Schicht von BerufspolitikerInnen mehr in Wallung bringen als alle bunten Abende im Reichstag zusammen, aber dann könnte mit diesen konkreten politischen Kräften darüber sinnvoll gesprochen werden, was eine LINKE heute tun muss.

Ohne Not hat die LINKE ein weiteres rätselhaftes Spiel aufgenommen. Sie hat sich einer massiven Erpressung der Fraktionsvorsitzenden Sahra Wagenknecht und des Fraktionsvorsitzenden Dietmar Bartsch – also eines offenkundig nur aus persönlichen Karrieregründen handelnden Duos, das sich noch vor Jahresfrist angeblich als große politische GegenspielerInnen in der LINKEN verkauft haben – gebeugt und die beiden OberparlamentarierInnen als „Spitzenkandidatin und Spitzenkandidat“ berufen.

Diese Inthronisierung Anfang Dezember ist ein skandalöser Bruch mit der innerparteilichen Demokratie. Es wurde noch nicht einmal formal abgewartet, bis der zuständige Landesverband NRW Sahra Wagenknecht überhaupt als Kandidatin gewählt hat. Das ist damit einer der vielen kleinen Bausteine, die jeder für sich gerne als Lappalie abgetan werden, aber in der Summe mehr zum dem verhängnisvollen Image der LINKEN beitragen, eine stinknormale Partei wie alle anderen zu sein, als programmatische Irrtümer und politische Fehlentscheidungen der LINKEN. Dieses Image hat dafür gesorgt, dass die LINKE bei allen Wahlen der letzten Zeit mit in den Strudel des Abwatschens der etablierten Parteien reingezogen wurde.

Eine sozialistische, egalitäre und sich gegen die gesellschaftlichen Verhältnisse und ihre Autoritäten auflehnende linke Partei braucht natürlich niemals „SpitzenkandidatInnen“. Das ist ein Relikt fast mittelalterlicher Corporatismus-Vorstellungen, das im Gegensatz zum Programm und Selbstverständnis der LINKEN steht. SpitzenkandidatInnen werden allerdings von KarrieristInnen in der Partei gewünscht, die gerne mal in dieses Amt aufsteigen wollen. Und noch mehr wünschen sich die JournalistInnen der Parlamentspresse solche Ein-Personen-Shows, weil es unendlich viel leichter ist, eine sich derart präsentierende Partei gut oder schlecht zu schreiben. Bei der LINKEN, wen sollte es erstaunen, ist die Mainstream-Presse eher erpicht, sie schlecht zu schreiben.

Ein Geschenk für die Hauptstadtpresse

Diese Presse hat das Geschenk mit Freude angenommen. Dietmar Bartsch ist als „angeblicher Reformer“ (das ist das Code-Wort für pflegeleicht und pro-kapitalistisch in den Pressekreisen) schon immer der Lieblings-Linke gewesen. Schwieriger ist es mit Sahra Wagenknecht, die mit dem Ruf eine kompromisslose Repräsentantin des linken Programms zu sein, daherkommt. Aber jetzt als „Spitzenkandidatin“ hat sie sich ohne Not und Absicherung durch die Partei und deren inhaltlichen Beschlüsse freiwillig in das Feuer der Mainstreampresse begeben. Jeder kleine Satz von ihr wird zerpflückt, verdreht und diffamiert. Die Leitwerte der Mainstreampresse – Antikommunismus, freie Marktwirtschaft und Deutschlands Rolle als Militärmacht – werden gegen sie in Stellung gebracht, mit dem durchsichtigen Ziel, nicht die Spitzenkandidatin, sondern die linke Partei insgesamt zu treffen. Selbstverständlich muss Sahra Wagenknecht vor diesen Angriffen in Schutz genommen werden. Das infame und seit Jahrzehnten bekannte Modell der bürgerlichen Ideologen, Links ist gleich Rechts, muss scharf angegriffen und die Attacken gegen Sahra Wagenknecht müssen zurückgewiesen werden.

Aber die Selbstisolierung und freiwillig gewählte Abgehobenheit von Sahra Wagenknecht von der Partei trägt leider viel dazu bei, dass diese Angriffe möglich sind und Spuren hinterlassen. Sahra Wagenknecht hat als private Absicherung ein Projekt gestartet, das eine Ohrfeige für einen wirklichen Aufbau einer linken Partei ist: Ihr Lobhudel-Internetformat „Team Sahra“. Darin werden die Menschen geradezu entpolitisiert und zu Claqueuren der Kandidatin degradiert. Es ist kein Versehen, sondern war zu erwarten, dass diese Plattform ein Tummelplatz rechter IdiotInnen wurde, der ununterbrochen den Unsinn verbreitet „Sahra ist toll, aber ihre Partei ist Scheiße“ – und noch viel Schlimmeres.

Jede und jeder machen Fehler

Unglücklicherweise macht es Sahra Wagenknecht auch in einer inhaltlichen Frage ihren AngreiferInnen sehr leicht. Sie irrt in der Frage der Geflüchteten-Politik. Sie steht damit im Widerspruch zur kollektiven Debatte und kollektiven politischen Praxis der LINKEN und ihrem beschlossenen Programm. In der jetzigen Position als „Spitzenkandidatin“ hat sie sich weitestgehend der Möglichkeiten beraubt, Hilfe durch die Partei zu bekommen. Jeder Unsinn, den sie erzählt, bleibt an ihr haften und wird mit dem Ziel, die LINKE zu schwächen, genüsslich breitgetreten und wiederholt. Das wächst sich zu einem Problem der ganzen Partei aus und wo es endet ist noch unklar.

Sahra Wagenknecht übernimmt in der Geflüchteten-Frage leider grundsätzliche und grundsätzlich falsche Positionen der herrschenden Meinung (die darin sehr unvermittelt die Meinung der Herrschenden ist). Sie spricht von einem Flüchtlingsproblem angesichts der Tatsache, dass Hunderttausende Menschen, die vor den durch Freihandel, Krieg und Umweltzerstörung weltweit durch den Kapitalismus angerichteten Verhältnissen fliehen, in die reichen Länder Europas wollen. „Füchtlingsproblem“ – was für eine Verdrehung von Ursache und Wirkung. Man stelle sich vor, ein großer Konzern schmeißt tausende von Beschäftigten raus und eine linke Partei spricht vom „Entlassenen-Problem“.

Wer sich einmal damit abgefunden hat, dass die Geflüchteten das Problem sind, hat kaum noch Chancen, sich den Folgerungen zu entziehen: Es sind zu viele Geflüchtete, ihre Bewegung muss kontrolliert und ihr Zugang begrenzt werden. Es gibt Kapazitätsgrenzen. Doch Sahra Wagenknecht setzt noch einen drauf: Die Ängste der Menschen vor zu vielen Flüchtlingen, vor Stadtteilen, in denen nicht mehr Deutsch gesprochen wird, vor der Zunahme der Kriminalität durch die Geflüchteten wären berechtigt. Spätestens hier beginnt der nicht hinnehmbare Wechsel in der politischen Praxis, der Sahra Wagenknecht an die Seite von AfD und rechten Kräften bringt, ob sie es will oder nicht. Linke stehen an der Seite der Geflüchteten und nicht bei denen, die sich Hass und Angst einreden lassen. Linke weisen nach – und das ist heute ein Kinderspiel – dass in Deutschland genügend Geld vorhanden ist, alle Geflüchteten human und ausreichend versorgt aufzunehmen. Linke versuchen, die Geflüchteten in einen gemeinsamen politischen Kampf gegen den Kapitalismus einzubeziehen. So wie es ein gemeinsames Interesse zwischen Entlassenen in einem Konzern und den verbliebenen Beschäftigten gibt (und auch das ist oft nur schwer zu vermitteln und umzusetzen) so gibt es auch ein gemeinsames Interesse der Opfer des Kapitalismus in Deutschland und in anderen Teilen der Welt.

Und es ist immer noch nicht zu Ende mit den traurigen Konsequenzen bei Sahra Wagenknecht: Sie spricht von einem Versagen der Regierung Merkel, dass so viele Menschen hierher flüchten. Sie spricht von einem Staatsversagen. Dabei ist das Gegenteil richtig: Bis auf die kurze Zeitspanne 2015, als Tausende von Geflüchteten die Polizeiketten auf dem Balkan umrannten und das Dublin-Abkommen praktisch außer Kraft setzten – ein Vorgang, über den sich Linke freuen sollten, weil die Alternative das Massensterben im Mittelmeer ist – hat der bürgerliche Staat viel zu gut und grausam funktioniert. Die Konsequenz von Sahra Wagenknecht hier deshalb mehr Polizei und mehr Kontrollen durch den Staat zu fordern ist der Gipfel der falschen politischen Orientierung.

Für diese Irrtümer ist Sahra Wagenknecht leider nicht in Schutz zu nehmen. Sie hat sich als Spitzenkandidatin verselbständigt. Es gibt hier nur den dringenden Appell, dass sie ganz schnell ihre politischen Fehleinschätzungen korrigiert und sich hinter das Programm der LINKEN stellt.

Zuerst erschienen in: Sozialistische Zeitung SoZ, Februar 2017