Die linke EU findet nicht statt

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Vortrag von Martin Höppner, Politikwissenschaftler, Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung Köln, auf der Euro-Konferenz der AKL am 28. Januar 2017 in Düsseldorf

Antikapitalistische Linke – das ist für mich ungewohntes Terrain. Mein Denken kreist um Optionen der sozialen Wiedereinbettung des entfesselten Kapitalismus, weniger um Optionen der gänzlichen Überwindung des kapitalistischen Systems. Aber vielleicht sind ja meine Überlegungen gerade vor diesem Hintergrund von Interesse. Ich bin nämlich zu der Überzeugung gelangt, dass die politische Steuerungsfähigkeit gegenüber der Ökonomie, die ich mir wünsche, überhaupt erst durch die Einnahme einer kritischeren Haltung zum Euro und zur EU zurückerkämpft werden muss. Und wenn ich es richtig sehe, treffen wir uns hier in einigen Schlussfolgerungen. Mit anderen Worten könnt ihr von mir hören, wie jemand, der sich hinsichtlich der Zukunftsvisionen wahrscheinlich moderater verortet als ihr, Euch sagt, dass Ihr in der Europafrage Recht habt.

 

In diesem Sinne möchte ich zu zwei Themenkomplexen Stellung nehmen: Ich möchte mir erstens Zeit nehmen, um über den Euro hinaus etwas zur innerlinken Europadebatte und zur Reformierbarkeit der EU zu sagen. Zweitens möchte ich dann das machen, was ich hier tun soll, nämlich zu den Reformoptionen im Euro und über ihn hinaus Stellung nehmen.

 

Linker Neustart der EU?

 

Wie Ihr alle, nehme ich die progressiven Europadebatten zur Kenntnis und beteilige mich an ihnen. Hier ein paar Schlagworte, die in der Debatte als Anker dienen:

 

  • Europa neu begründen – was immer das heißen soll: So weitermachen, aber anders begründen, oder: ganz was anderes machen.

 

  • Europa geht auch solidarisch – das glaube ich auch, aber nicht so, wie es im gleichnamigen Buch steht.

 

  • Mit der EU brechen – eine Parole aus dem Umfeld der radikalen Linken.

 

  • Für einen linken Neustart – das war das Motto der großen Europatagung der Bundestagsfraktion im vergangenen Jahr und das Motto fasst den Stand der Debatte vielleicht ganz gut zusammen. Wer wollte da widersprechen? Einen linken Neustart der Europäischen Union, das wollen wir sicher alle.

 

So merkwürdig das klingen mag – ich bin zu der Überzeugung gelangt, dass es einen „linken Neustart der EU“ nicht geben kann. Die maximale Anforderung, die sich an die EU zu richten lohnt, ist – hier zietiere ich meinen Mitstreiter Florian Rödl – gesellschaftspolitische Neutralität. Eine Neutralität, die es zulässt, dass dort, wo es progressive Mehrheiten gibt, auch progressive Politikwechsel stattfinden können.

 

Die EU hält keine linken Politikoptionen bereit

 

Warum gibt es auf der Ebene der EU keinen linken Neustart? Weil die EU kein Staat ist über keines der Instrumente verfügt, die für eine progressive Politik gebraucht würden. Unabhängig von den Kräfteverhältnissen ist die EU nicht in der Lage, auf europäischer Ebene eine beschäftigungsorientierte makroökonomische Politik durchzuführen. Daran wird sich absehbar auch nichts ändern. Völlig unabhängig von den Mehrheitsverhältnissen kann die EU auch keine Sozialpolitik oder etwa Flächentarifverträge organisieren. Sie hat aus guten Gründen nicht einmal sozialpolitische Kompetenzen und daran würden gewonnene Europawahlen oder dgl. nichts ändern.

 

Ich kann nur nachdrücklich davor warnen, sich die EU als eine Arena vorzustellen, die man mit linken Inhalten füllen kann, wenn man sich auf EU-Ebene eine Mehrheit erkämpft hat. Die EU ist wirksam davor immunisiert, mit progressiven, sozialpolitischen Inhalten aufgeladen zu werden.

 

Die europäische Liberalisierungsmaschine stoppen

 

Aber das ist noch längst nicht alles: Auch die bemerkenswerte Fähigkeit der EU, wirtschaftliche Liberalisierung durchzusetzen, ist vor dem Zugriff widerstreitender demokratischer Mehrheiten geschützt. Warum das? Weil die Europäische Union eine Konstruktion ist, in der sich Liberalisierungspolitik an den politischen Systemen beider Ebenen vorbei mit rechtlichen Mitteln erzwingen lässt. Die Instrumente hierfür sind das europäische Wettbewerbsrecht und insbesondere die Grundfreiheiten, also die primärrechtlichen Bestimmungen zur freien Bewegung von Arbeit, Kapital, Waren und Dienstleistungen auf dem Binnenmarkt.

 

Diese Bestimmungen werden vom Europäischen Gerichtshof derart extensiv interpretiert, dass sie nicht nur mit dem Bestand der staatsnahen Sektoren in Konflikt geraten, sondern inzwischen auch mit der Tarifautonomie und in Kürze vielleicht sogar mit der Arbeitnehmermitbestimmung.

 

Ein unverhofftes Lob der Antikapitalistischen Linken

 

Während ich keinerlei Hoffnung auf einen linken Neustart der EU habe, also auf die Entstehung eines europäischen Sozialstaats oder dergleichen, halte ich Erfolge im Kampf gegen die rechtlich erzwungene Liberalisierung zumindest nicht für ausgeschlossen. Dafür lohnt es zu kämpfen. Das Ziel dieses Kampfes wäre ein effektiverer Schutz der mehr oder weniger ausgeprägten Sozialen Marktwirtschaften vor illegitimen Übergriffen des Europarechts. Wenn das gelingt, dann wird es auch wieder mehr lohnen, sich auf mitgliedstaatlicher Ebene für eine sozialere Politik zu engagieren. Die Vertragsänderungen, die hierfür notwendigen wären, sind allerdings keine einfachen Anbauten an das europäische Primärrecht, keine marginalen Reformen. Sie würden vielmehr in das Herz der Verträge zielen, nämlich vor allem auf die Binnenmarktfreiheiten und das, was die Europa-Richter an der Politik vorbei aus ihnen gemacht haben.

 

Wie aber könnte man solche Vertragsänderungen erzwingen? Fritz Scharpf ruft die Mitgliedstaaten dazu auf, das Gebäude des europäischen Richterrechts einstürzen zu lassen, indem man bestimmten EuGH-Urteilen die Gefolgschaft verweigert und so eine europäische Verfassungskrise auslöst. Ich will hier nicht in die Details gehen und lediglich auf folgendes aufmerksam machen: Was der nun wirklich nicht linksradikal-revolutionäre Fritz Scharpf hier vorschlägt, könnte man auch als Aufruf zum selektiven Bruch mit der heutigen EU bezeichnen. Und darauf wollte ich hinaus: Die Positionen, die die AKL in der progressiven Europadebatte einnimmt, erfahren bei Licht besehen viel mehr Unterstützung aus der kritischen Europaforschung, als man vielleicht auf den ersten Blick denken sollte.

 

Keine Aussicht auf Entspannung im Euro

 

Damit möchte ich übergehen zum Euro und zu meinem zweiten Punkt, mit dem auch das Panel überschrieben ist: Warum es keine Aussicht gibt, die Probleme der Eurozone im Euro zu lösen. So lange wir den Euro haben, kann man nur versuchen, das Problem der in der Eurozone auseinandergelaufenen Preisniveaus durch interne Re- und Deflationierungen zu beheben. Über die Möglichkeit, dass der Norden der Eurozone den Süden von einem Teil des Deflationierungsdrucks befreien könnte, indem er selbst inflationiert, reden wir nun seit mindestens sechs Jahren. Es ist nicht passiert und nichts dergleichen ist in Sicht. Selbst wenn es gelänge, die Gewerkschaften auf die Strategie einer inflationären Lohnpolitik zu verpflichten, würde das m.E. an der Dezentralisierung des deutschen Tarifsystems scheitern. Das aber bedeutet: Der Norden der Eurozone mit Deutschland im Kern lässt den Süden mit der gesamten Anpassungslast allein.

 

In Südeuropa wurden Demokratie und Tarifautonomie praktisch außer Kraft gesetzt, um interne Abwertungen zu erreichen. Wie geht das? Auf gut Deutsch: Man quält die Gewerkschaften und zerstört das kollektive Arbeitsrecht so lange, bis die Löhne sinken. Und dann hofft man, dass in der Folge auch die Preise sinken. Zerstörte Binnennachfragen, Massenarbeitslosigkeit, soziale Deprivation, brain drain, ein kaputtes Arbeitsrecht – das alles sind die Kollateralschäden. Dieses zynische, brutale und zudem krachend gescheiterte Experiment muss endlich beendet werden! Es lässt sich aber nur beenden, wenn man vom Druck auf interne De- und Reflationierungen auf die Ermöglichung von Auf- und Abwertungen umschaltet. Das setzt den Abschied vom Euro zwingend voraus.

 

Für ein EWS II

 

Was aber ist die Alternative? Wir werden uns wahrscheinlich darüber einig sein, dass das Ziel nicht in gänzlich flexiblen Wechselkursen bestehen kann. Wenn wir die Extrempunkte eines gänzlich flexiblen und eines gänzlich festen Wechselkursregimes also ausschließen, bleibt uns rein logisch nur die Alternative eines anpassbaren Regimes, in dem es Wechselkurskooperation gibt, in dem die Möglichkeit politisch ausgehandelter und gemeinsam verantworteter Auf- und Abwertungen aber gleichwohl offenbleibt.

 

Eine solche Währungsordnung war das Europäische Währungssystem (EWS), das von 1979 bis zum Übergang in den Euro Bestand hatte. Nun muss man dieses System nicht 1:1 kopieren wollen, man kann da sicherlich vieles besser machen. Vor allem kann man natürlich als progressive politische Kraft weitergehende Forderungen entwickeln. Aber selbst wenn man sich auf nichts anderes einigen könnte als genau dieses damalige EWS, dann lege ich mich fest: man sollte den Weg gehen. Hinsichtlich seiner Fähigkeit, makroökonomische Ungleichgewichte zu minimieren, war das EWS dem Euro-Desaster glasklar überlegen.

 

Wir brauchen ein Auffangbecken für austretende Länder

 

Aber das ist alles Theorie, sehr abstrakt, schwer zu kommunizieren. Was bedeutet das für uns? Wofür sollen wir eintreten? Ich bin strikt dagegen, dafür einzutreten oder auch nur zu tolerieren, dass Deutschland andere Länder gegen ihren Willen aus dem Euro kickt. Dann könnte man schon eher Joseph Stiglitz folgen die Forderung an die eigene Regierung richten: Deutschland raus aus dem Euro. Diese Parole finde ich aber einigermaßen merkwürdig und ich möchte sie mir nicht gern zu Eigen machen.

 

Was also tun, wie in der Debatte verhalten?  Ich sehe die derzeitige Situation wie folgt: Da eine Politikänderung nicht und nirgends in Sicht ist, werden uns früher oder später Länder unter dem Druck der Verhältnisse aus der Eurozone herausbrechen. Es muss gelten, sich auf solche Ereignisse so gut wie möglich vorzubereiten! Man sollte für die vorausschauende Errichtung einer Zone der Wechselkurskooperation eintreten, in die man aus dem Euro austretende Länder aufnehmen kann. Der Vorschlag wäre also, dafür einzutreten, zunächst einmal ein neues EWS um den Euro herumzubauen. Und wenn das dazu führen sollte, dass Euro-Austritte ihren Schrecken verlieren und die Anzahl der austrittswilligen Länder immer größer wird – dann umso besser, denn der Erhalt des Euro ist ja, wie wir gesehen haben, nun gerade kein Wert an sich.