Buchvorstellung in Berlin: „Nach Goldschätzen graben, Regenwürmer finden“ 120 diskutieren mit Bernd Riexinger, Ekkehard Lieberam und Lucy Redler

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Die Linke und das Regieren – dieses Thema beschäftigt die ArbeiterInnenbewegung seit über 100 Jahren und ist auch heute noch zentraler Debattenpunkt für Sozialistinnen und Sozialisten. Welche Strategie und welche Taktik ist die richtige, um die gesellschaftlichen Verhältnisse zu verändern? Beiträge zu dieser Frage enthält das neue Buch „Nach Goldschätzen graben, Regenwürmer finden“, welches von Thies Gleiss, Inge Höger, Lucy Redler und Sascha Stanicic im PapyRossa-Verlag herausgegeben wurde. Zur ersten Vorstellung des Buches lud die junge Welt am 8. September in ihre Ladengalerie. Neben Lucy Redler (AKL und SAV, Mitglied im Parteivorstand) und Ekkehard Lieberam (Marxistisches Forum Sachsen) stellte sich auch Bernd Riexinger, Parteivorsitzender der LINKEN, einer kritischen Diskussionsrunde.

 

Von Tom Hoffmann, Berlin

Großes Interesse hat das neue Buch ohne Frage schon hervorgerufen. Der Raum der jungen Welt war fast zu klein für die 120 Menschen, die sich am Donnerstag Abend dort einfanden.

Lucy Redler machte den Auftakt und erklärte, warum die Idee für das Buch unter Aktiven der AKL aufkam: „Uns eint die Sorge, dass wir die Partei schwächen – nicht stärken – wenn wir in Koalitionen mit bürgerlichen Parteien eintreten.“ In Berlin war das nach zehn Jahren Rot-Rot zwischen 2001 und 2011 deutlich geworden. Heute gebe es vier Hauptprobleme in der Stadt: die Verwaltungsmisere vom LaGeSo, steigende Mieten, zu wenige Stellen im Öffentlichen Dienst und die Ausbreitung von prekärer Beschäftigung und Ausgliederungen. Drei dieser Probleme seien wesentlich durch Maßnahmen des rot-roten Senats entstanden. Steigende Mieten wären beispielsweise auch Ergebnis einer unter Rot-Rot mitgetragenen Privatisierungspolitik, welche zum Beispiel 65.000 Wohnungen der Wohnungsbaugesellschaft GSW verkaufte. Lucy Redler wies darauf hin, dass Erfolge in den letzten Jahren einzig durch außerparlamentarische Bewegungen erzielt wurden, wie durch den erfolgreichen Streik an der Charité für den ersten Tarifvertrag für mehr Personal im Krankenhaus, den Wasservolksentscheid und den Mietenvolksentscheid. Sie erklärte, dass sie trotz allem aktiven Wahlkampf für DIE LINKE mache, aber der Meinung sei, dass sich die Erfahrung von 2001 bis 2011 nicht wiederholen dürfe, sondern man in Berlin eine kämpferische bewegungsorientierte Partei aufbauen müsse.

 

Ekkehard Lieberam betonte in seiner Rede die Bedeutung historischer Erfahrungen, welche für die LINKE wertvoll angesichts der jüngsten Entwicklungen sind. Diese jüngsten Entwicklungen sind Warnsignale. Die Wahlergebnisse der letzten Landtagswahlen verdeutlichen eine „Abwärtsspirale nach unten“ hinsichtlich der Wählerentwicklung. Lieberam beklagte die fehlende Bereitschaft zu einer klaren Auswertung dieser Niederlagen. Obwohl von dem im April veröffentlichten Strategiepapier der beiden Parteivorsitzenden sowie vom Parteitag ein anderes Signal ausging, sei danach die Debatte über Regierungsbeteiligung von Gregor Gysi und anderen wieder forciert worden.

 

Bernd Riexinger betonte in seinem Beitrag, dass er eine andere Haltung als seine VorrednerInnen einnehme. Die LINKE dürfe nicht als Kraft erscheinen, die nicht regieren wolle – was jedoch weder Lucy Redler noch Ekkehard Lieberam gesagt hatten. Riexinger enthielt sich eines Kommentars zu den Erfahrungen mit Regierungsbeteiligungen von PDS und LINKE auf Landesebene und konzentrierte sich auf die Frage einer Regierungsbeteiligung im Bund. Er betonte, dass die von der Partei beschlossenen „roten Haltelinien“ „unumstößlich“ seien, allerdings als Basis für eine Wahlstrategie nicht ausreichen. Es bräuchte offensive Forderungen im Wahlkampf, wie zum Beispiel nach einem Mindestlohn von zwölf Euro, massiven Rentenerhöhungen und radikaler Umverteilung von oben nach unten. Diese sollen „ernsthafte Angebote“ an SPD und Grüne sein. So solle deutlich werden, dass ein Politikwechsel nicht an der LINKEN scheitert. Ob alle diese Forderungen für ihn Mindestvoraussetzungen für eine Regierungsbeteiligung oder Verhandlungsmasse im Falle von Koalitionsgesprächen sind, wurde nicht klar. Ob er glaubt, dass  SPD und Grüne auf solche Forderungen eingehen auch nicht, obwohl er in seinem Beitrag für das Buch schreibt, dass dies derzeit nicht möglich sei.

 

Die Diskussion war geprägt durch viele regierungskritische Äußerungen, welche jedoch unterschiedliche Aspekte beleuchteten. Sarah Moayeri, Direktkandidatin der LINKEN in Berlin-Neukölln, meinte, dass es auch im gerade stattfindenden Wahlkampf in Berlin nötig ist, offen und ehrlich über die Bilanz des rot-roten Senats zu sprechen. Sie macht als Kandidatin im Wahlkampf deutlich, dass sie einer Koalition mit SPD und Grünen nicht zustimmen würde. Rouzbeh Taheri vom Mietenvolksentscheid meinte in einem Beitrag: „Von den letzten fünfzehn Jahren war Die LINKE für mich als außerparlamentarischen Aktivisten in den letzten zweieinhalb Jahren, als sie in der Opposition war, am wertvollsten.“ Dort habe sie gute Kampagnen unterstützt und stand an der Seite von Mieterinnen und Mietern. Kritik gab es auch an der Aufstellung der Berliner Kandidatenliste. Jochem Visser, Mitglied des Landesvorstands, beklagte, dass Genossinnen und Genossen, welche Regierungen kritischer gegenüber stehen, auf der Liste überhaupt nicht zu finden wären. Auch die HerausgeberInnen Inge Höger und Sascha Stanicic schalteten sich in die Debatte ein. Inge Höger verwies auf die negativen Erfahrungen in Griechenland, die gezeigt hätten, dass eine linke Regierung mit den kapitalistischen Verhältnissen brechen müsse, um linke Politik zu betrieben. Sascha Stanicic verwies darauf, dass vierzig Prozent der Menschen in Mecklenburg-Vorpommern gar nicht zur Wahl gegangen seien trotz den „Angebots“ von AfD und NPD und dass die Aufgabe der LINKEN sei, sich nicht an den WählerInnen der SPD zu orientieren, sondern zu versuchen diese NichtwählerInnen zu erreichen.

 

Die Veranstaltung konnte nicht alle Fragen klären. Es ist aber deutlich geworden, dass das Thema weiterhin wichtig und auch auf der Parteilinken kontrovers bleiben wird. Das Buch und die AutorInnen können in der andauernden Debatte Argumente liefern und helfen sich zu orientieren.

 

Die nächsten Buchvorstellungen finden am 20. September in Stuttgart und am 7. Oktober in Kassel statt. Weitere Termine auf www.antikapitalistische-linke.de