Konsequente Opposition gegen neoliberale Politik – für eine soziale Offensive in Sachsen

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Liebknecht-Kreis Sachsen (LKS): Erklärung der Mitgliederversammlung vom 16. April 2016 in Leipzig 

Die Resultate der drei Landtagswahlen am 13. März waren für DIE LINKE eine schwere Niederlage. Nicht zuletzt zeigen aktuelle Umfragen, dass sich daraus eine Existenzkrise der Partei entwickeln könnte. Der rasante Aufstieg der rechtspopulistischen AfD ist ein politisches Alarmsignal für die gesamte Linke und damit auch für uns. Angesagt ist eine ehrliche und tabulose Debatte über die Ursachen für diese gefährliche Entwicklung. Weit über die sogenannte Flüchtlingsfrage hinaus sind angemessene strategische Schlussfolgerungen und politische Konsequenzen zu ziehen. Dazu müssen auch die richtigen Fragen gestellt und diskutiert werden. Es geht nicht an, dass weiterhin kaum eine ernsthafte und selbstkritische Analyse der tiefer liegenden Gründe für unsere Wahlniederlagen geführt wird.

Die folgenden Überlegungen sind ein aus der sächsischen Perspektive verfasster Beitrag. Wir setzen damit die bisherige Diskussion um eine tragfähige linke Gesellschaftsstrategie und Wahlstrategie fort, wie sie in den Heften des Liebknecht-Kreises-Sachsen 1 bis 4/5 nachzulesen ist. Wir beziehen uns zugleich auf den Beitrag von Rico Gebhardt vom 19. März 2016 „Aus der Mitte der Linken dem Rechtstrend die Stirn bieten – in Sachsen die Weichen stellen, wie’s mit Deutschland weitergeht“.

Der 13. März markiert eine tektonische Verschiebung in der bundesdeutschen Parteienlandschaft. Rechts neben der CDU/CSU gibt es eine bundesweit parlamentarisch erfolgreiche Partei, die mit der Neuen Rechten eng verzahnt ist und deren Aufschwung außerparlamentarisch durch eine derzeit vor allem in Sachsen aktive rechtspopulistische Empörungsbewegung (PEGIDA und Ableger) flankiert wird. Das ist ein Novum in der Geschichte der Bundesrepublik.

Nicht erst der 13. März zeigte, dass ein Großteil des gesellschaftlichen Protestpotenzials, der wachsenden Unzufriedenheit mit dem etablierten Politikbetrieb, von links nach rechts gewandert ist. Das ist wesentlich, aber nicht ausschließlich ein Resultat der „Flüchtlingskrise“. Es ist auch ein Ergebnis dessen, dass relevante Teile der Bevölkerung DIE LINKE mittlerweile nicht mehr als gesellschaftliche und politische Oppositionskraft, sondern eher als „verstaatlichte“ Opposition bzw. als einen Teil des Elitekartells wahrnimmt, „der ja auch nur mitregieren will“. Unsere Partei läuft damit Gefahr, in ihrer Stammwählerschaft weiter zu verlieren und kaum noch NichtwählerInnen und Menschen anzusprechen, die den etablierten Politikbetrieb ablehnen und dem politischen System misstrauen.

Zu dem Entfremdungsprozess uns gegenüber hat beigetragen, dass DIE LINKE immer mehr wie eine Wahlpartei funktioniert und auch als solche wahrgenommen wird. Die sich häufenden Wahlniederlagen in den Ländern nach der Euphoriewelle der Parteineugründung 2007-2009 wurden zumeist mit „weiter so“ oder der „Flucht nach vorn“ quittiert. Das heißt, Deutungsmuster jenseits des eigenen Versagens der Partei werden bevorzugt. Auch eine (selbst)kritische Aufarbeitung linker Regierungsbeteiligung fand trotz offenkundiger negativer politischer Folgen bislang kaum statt, obwohl gilt: „Ein Grundproblem linker Regierungspolitik (…) ist die Gefahr der Demobilisierung der linken, sozial- und demokratieorientierten Zivilgesellschaft.“ (Rolf Reißig/Michael Brie)

Seit Jahren dominiert die Tendenz, kritischen Debatten aus dem Wege zu gehen. Es gibt mittlerweile Tabuthemen und -zonen, die auch die Negierung von Deformationen der innerparteilichen Demokratie einschließen. Die bestehenden „Denkverbote“ haben ganz wesentlich mit der „Dominanz des Parlamentarischen“ (Harald Werner) zu tun, die eine sukzessive Einordnung der Führungsgruppen der Partei in den herrschenden Politikbetrieb befördert. Dadurch werden Fokusierung und Verengung auf die mittlerweile vielgestaltigen Strukturen bezahlter Politik befördert. Das Ehrenamt, die Basis, wird oft zu wenig geschätzt und einbezogen.

Folgt man diesen Prämissen, ergeben sich insbesondere folgende Konsequenzen:

Erstens: Die Orientierung von Politikerinnen und Politikern der LINKEN auf eine rot-rot-grüne Regierung im Bund ist als reale politische Option für längere Zeit gescheitert. Das weitere Festhalten an diesem Modell ist nicht nur politisches Wunschdenken, sondern bedeutet auch, gesellschaftsstrategisch zu verkennen, dass SPD und Grüne die neoliberale Kapitaloffensive maßgeblich mit zu verantworten haben und nach wie vor Stützen der neoliberalen Politik sind. Die jüngste Forderung des Landesvorsitzenden der CDU und sächsischen Ministerpräsidenten Tillich an seine Partei, sich mehr auf eine Zusammenarbeit mit den Grünen zu orientieren, bestätigt diese Einschätzung. Unsere Partei steht vor einer grundsätzlichen Richtungsentscheidung, die Oskar Lafontaine benannt hat: „Was wir jetzt brauchen ist das Gegenteil von ‚Weiter so’. Wir brauchen nicht ein Bündnis mit dem neoliberalen Parteienblock, sondern ein Bündnis gegen die neoliberale Politik.“ Dieses Bündnis zielt auf eine politische Wende durch eine grundlegende Verschiebung des gesellschaftlichen Kräfteverhältnisses nach links insbesondere durch eine wieder anzustrebende Massenmobilisierung. Dafür ist die Schärfung eines widerständigen politischen Profils der LINKEN als systemoppositionelle Partei, als Partei der Prekarisierten und Lohnabhängigen, als Antiprivatisierungspartei und als kompromisslose Antikriegspartei zwingend notwendig.

Zweitens: Für diese Profilschärfung braucht es auf der Grundlage des Erfurter Programms von 2011, das in Teilen der Partei augenscheinlich vergessen und verdrängt ist, deutlichere Aussagen. Erforderlich sind antiimperialistische Grundpositionen in der internationalen Politik, insbesondere zu den Kriegsursachen und zur Politik des „Westens“ als wichtigste Fluchtursache und zur EU als unsoziales, undemokratisches und militaristisches Gebilde. Von einem demokratischen und sozialen Europa sind wir unter den Bedingungen des Euros und dieser EU weiter denn je entfernt. In der Innenpolitik muss die „soziale Frage“, nicht zuletzt als Frage einer eskalierenden sozialen Ungleichheit, sowie die Frage eines Ausbruchs aus dem Krisenkapitalismus wieder in den Mittelpunkt einer gesellschaftlichen Gesamtstrategie gestellt werden.

Offenbar ist es uns nicht gelungen, den großen menschenrechtlichen Anspruch der Partei in der Flüchtlingsfrage mit den sozialen Abstiegsängsten in Teilen der eigenen Wählerschaft in Übereinstimmung zu bringen. Um erfolgreich gegen die AfD agieren zu können, ist daher wesentlich mehr als deren Entlarvung als neoliberale, rechtspopulistische, nationalkonservative Sammlungsbewegung notwendig. Ihr Aufstieg muss stärker als kalkuliertes Resultat sozialer Unsicherheit und Hoffnungslosigkeit, als Ergebnis von (berechtigter) Wut und Enttäuschung über das bestehende Gesellschaftssystem begriffen werden oder um es mit dem Soziologen Hartmut Rosa zu sagen: „Das Problem liegt darin, dass die Resonanzachse zwischen der etablierten Politik und weiten Teilen der Bevölkerung gebrochen ist, dass ihnen die Politik nicht mehr zu antworten scheint.“ (LKS-Heft 2, S. 42).

Drittens: Ein zentrales Dilemma der LINKEN besteht in ihrer unzureichenden Mobilisierungsfähigkeit und in der dringenden Notwendigkeit, einen Politikmodus (neu) zu finden, der Politik als gesellschaftlichen Kampf, als Massenmobilisierung, als Entwicklung von Gegenmacht begreift und sich verabschiedet von einem Verständnis von linker Politik als Willensfrage und Vertretungsdemokratie. Es gibt dabei keinen Königsweg. Es geht um das Sammeln von Kräften, um scharfe Kritik der gesellschaftlichen Zustände sowie um mehr Präsenz in den Alltagskämpfen gegen das Kapital, in den Betrieben, in den Stadtteilen, im ländlichen Raum, in den verschiedenen sozialen Milieus. Dazu sind neue Formen und Formate notwendig, über die wir gemeinsam nachdenken müssen.

Die Präzisierung unseres linken Politikverständnisses ist umso dringlicher, weil – hier folgen wir der nüchternen Analyse des renommierten Sozialwissenschaftlers Christoph Butterwegge – mit der Einwanderung überwiegend mitteloser Flüchtlinge zweifellos gravierende Auswirkungen auf Armut und soziale Ungleichheit in unserem Land verknüpft sind. Die schreiende Kluft zwischen Arm und Reich wird sich dadurch wahrscheinlich weiter vertiefen. „Bei unveränderten Macht- und Mehrheitsverhältnissen besteht sogar die Gefahr einer dauerhaften ethnischen Unterschichtung unserer Gesellschaft, wenn die Dominanz rassistischer Ressentiments innerhalb der Mehrheitsgesellschaft dazu führt, dass die Geflüchteten arm bleiben und sozialer Ausgrenzung unterliegen.“ (Christoph Butterwegge, Sozialismus 3/2016, S. 25)

Wir meinen: DIE LINKE in Sachsen hat eine besondere Verantwortung, sich den aktuellen Herausforderungen zu stellen. Weniger weil der Freistaat vermeintlich „zum Brennpunkt einer epochalen Kontroverse um Mobilität und Migration“ (Rico Gebhardt) geworden ist. Wir sind zum einen der mitgliederstärkste Landesverband der Partei. Entscheidender ist jedoch, dass die gesellschaftliche Rechtsverschiebung in der BRD sich hier am stärksten manifestiert bzw. aus Sachsen wesentliche Schubkraft erhält. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich im Freistaat zum ersten Mal in der BRD ein politischer Mitte-Rechts-Block herausbildet. Dieser könnte bei den nächsten Landtagswahlen in einem Regierungsbündnis von CDU und AfD konkrete Gestalt annehmen.

Unsere Konsequenzen:
Das stärkere Betonen unserer Alleinstellungsmerkmale mit Fokus auf die Kernthemen Frieden und soziale Gerechtigkeit sowie die Benennung von Hauptzielgruppen ist für die Profilierung der sächsischen LINKEN unverzichtbar. Wir brauchen künftig eine Art Sozial-TÜV, an dem sich alle anderen Politikbereiche zu orientieren haben. Das gilt auch für die Flüchtlingsfrage, die sich nicht verselbständigen darf. Dieses ganzheitliche Herangehen wäre auch eine Voraussetzung, um bei der „Wiedergewinnung der Arbeiterschaft“ (Rico Gebhardt) erfolgreich zu sein.

Deshalb sollten wir scheinbar durch die Flüchtlingsfrage in den Hintergrund gedrängte soziale Problemkreise wieder verstärkt aufgreifen, zumal sie zum eigentlichen Markenkern unserer Partei gehören. Das betrifft die Hartz-IV-Regelungen, um deren Überwindung wir weiterhin kämpfen müssen. Das gilt für den weiteren Kampf um armutsfeste Mindestlöhne und die Beseitigung prekärer Arbeitsbedingungen gemeinsam mit Gewerkschaften. Zugleich müssen wir aber konkrete Angebote an alle Generationen unterbreiten. Das gilt für das noch energischere Einfordern tatsächlicher Chancengleichheit für Kinder und Jugendliche in Bildung und Ausbildung, für eine fortschrittliche Familienpolitik, aber auch für Maßnahmen zur Überwindung von Altersarmut. Letzteres scheint selbst die CDU erkannt zu haben, die die Rentenfrage aus taktischen Gründen in den Mittelpunkt des bevorstehenden Bundestagswahlkampfes rücken will, wohl wissend, dass damit mehr als vier Fünftel der Wahlberechtigten angesprochen werden können.

Zum anderen: Wir brauchen dringend zu einem unserer Kernthemen eine landesweite außerparlamentarische Kampagne mit Massenmobilisierung. Sie kann allerdings nur erfolgreich sein, wenn sie Bündnischarakter trägt und gemeinsam mit zivilgesellschaftlichen Bewegungen bzw. Initiativen vorbereitet und gefördert wird. Wir erwarten daher, dass vom Landesvorstand entsprechend der Beschlusslage vom letzten Landesparteitag bis zum 30. April der Entwurf für eine Umsetzungsstrategie zum Projekt „Kampf gegen Prekariat in der Mitte der Gesellschaft“ vorgelegt wird. Der nächste Landesparteitag sollte dieses Konzept verabschieden.

Schließlich: Wir teilen ausdrücklich die „polemische Selbstkritik“ von Rico Gebhardt zur „Akademisierung unseres Politiksprechs“. Die LINKE hebt sich in ihrer Sprache, in ihren schriftlichen Verlautbarungen, deutlich weniger als früher von der allgemeinen Politiksprache ab, die vielfach langweilt und abstößt, weil sie häufig aufgeblasen und daher kraftlos und ausdruckslos ist, voll nichtssagender Sprachbilder, Floskeln und Phrasen, die für Aufmerksamkeit sorgen sollen, ohne die Zustände zu kritisieren. Diese Sprache sorgt für Überdruss und trägt dazu bei, politische Apathie zu fördern und nicht mehr wählen zu gehen.

Wir haben uns zu wenig dagegen gewehrt, dass man Begriffe wie Herrschaft, Klassenmacht und Imperialismus faktisch auf den politischen Index gesetzt hat. Wir müssen Klartext reden, wenn wir vom Horror der kapitalistischen Globalisierung in der dritten Welt, von der Macht und Profitmaximierung der internationalen Konzerne, der Rolle des Spekulationskapitals und der Menschenverachtung des Rüstungskapitals sprechen. Es ist mitunter haarsträubend, wenn das Stellen der Machtfrage mit der Teilnahme an Regierungen gleichgesetzt wird. Und es geht auch nicht an, dass wir mitmachen bei der Dämonisierung des Sozialismusversuchs in der DDR.

Unsere Partei eint, dass wir konsequent gegen soziale Kälte und Rassismus, gegen den Rechtsruck der Gesellschaft und die neoliberale Kürzungspolitik kämpfen. Wir sind auch davon überzeugt, dass DIE LINKE beim Flüchtlingsthema weiter eine humanistische Haltung und klare Position bewahren muss. Zugleich stellen wir die Systemfrage als „Exit-Strategie aus dem Krisenkapitalismus“ (Katja Kipping/Bernd Riexinger) sowie die soziale Frage, kritisieren scharf die wachsende Schere zwischen Arm und Reich und kämpfen weiterhin konsequent für Verteilungsgerechtigkeit und Solidarität.

Von einem neuen Aufbruch ist unsere Partei weit entfernt und Zweckoptimismus – „Wir als LINKE sind Gegenwind gewohnt – er hat uns letztlich immer wieder stärker werden lassen“ (Rico Gebhardt) – wird nicht helfen. Die gesellschaftspolitische Defensive zu überwinden, wird ein steiniger, langer Weg. Es ist noch keinesfalls ausgemacht, dass wir ihn erfolgreich meistern werden. Die sächsische LINKE muss auf dem bevorstehenden Landesparteitag dazu aber erste Schritte gehen. Ein neuer Leitantrag zählt nach unserer Einschätzung nicht dazu, zumal viele Beschlüsse aus den letzten drei Leitanträgen (deren Umfang immerhin 43 Seiten beträgt) noch nicht erfüllt sind. Wir schlagen stattdessen alternativ vor, dass der nächste Landesparteitag ein vom Landesvorstand vorgelegtes kurzes und handlungsorientiertes Aktionsprogramm diskutiert und verabschiedet.