AfD: Den Keil ansetzen

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Warum DIE LINKE sich ein gutes Stück weit neu erfinden muss und im Kampf gegen die AfD auch die Zusammenarbeit mit der SPD nicht scheuen darf. Von Stefan Bornost

Seit dem Durchmarsch der AfD bei den Landtagswahlen am 13. März ist innerhalb der LINKEN eine Debatte entbrannt, wie wir den Aufstieg der AfD stoppen können. Das marx21-Netzwerk hält dafür jetzt zwei Schritte für geboten. Zum ersten die Schaffung einer möglichst breiten Aktionseinheit, welche der AfD und ihrem Rassismus politisch und praktisch gegenübertritt.

Zum zweiten eine deutliche Schärfung des Profils der LINKEN, die sich ein gutes Stück weit neu erfinden muss – als Fundamentalkritikerin kapitalistischer Verhältnisse und des etablierten Politikbetriebs und Motor außerparlamentarischer politischer und sozialer Kämpfe. Insbesondere der erste Teil dieser Orientierung ist umstritten, hier soll auf die Kritik geantwortet werden.

Das Scheitern der Linken neu in Szene setzen?
In einem noch vor den Landtagswahlen veröffentlichten Debattenbeitrag im »Neuen Deutschland« wendete sich Sascha Stanicic, Bundessprecher der SAV, gegen eine breite Aktionseinheit gegen die AfD unter Einschluss von Sozialdemokraten und Grüne. Er argumentiert, dass solche Bündnisse welche »die Verantwortlichen für Austeritätspolitik, Sozialkürzungen, Wohnungsmangel und staatlichen Rassismus einbeziehen« nicht helfen »die Ursachen von Rassismus, Rechtspopulismus und Faschismus zu bekämpfen. Wenn Linke solche Bündnisse vorschlagen, verhalten sie sich wie ein Boxer, der sich freiwillig einen Arm auf den Rücken bindet, bevor er in den Ring steigt.«

Ins gleiche Horn stoßen die LINKE-MdBs Sevim Dagdelem, Alexander Ulrich und Heike Hänsel in einem Beitrag für die Junge Welt am 14. März: »Jetzt auf Anti-AfD-Bündnisse zu setzen, deren Breite nur dadurch zustande kommt, dass die soziale Frage außen vor bleibt, hieße, das Scheitern von Linken in Europa, sei es in Großbritannien oder in Frankreich gegen die Rechte, neu in Szene zu setzen. Was wir statt dessen brauchen ist ein Bündnis gegen Neoliberalismus. Hier wird sich schnell zeigen, auf welcher Seite SPD und Grüne stehen.«

Unterschätzung der Gefahr durch die AfD
Meines Erachtens enthält diese Ausrichtung drei Fehler: Sie unterschätzt die Gefahr, welche von der AfD ausgeht. Sie stellt sich deshalb nicht die Frage der adäquaten Mittel, dieser Gefahr direkt zu begegnen. Und sie stellt zwei Dinge gegeneinander, die zusammen gedacht gehören: Zum einen die begrenzten Aufgaben einer Aktionseinheit, nämlich Stoppen des rassistischen Vormarsches mit allen verfügbaren Mitteln zum anderen die spezifischen Aufgaben sozialistischer Organisierung, nämlich den Kampf ums Ganze, gegen das kapitalistische System als Quelle von Rassismus und sozialer Misere.

Der AfD ist bei den Wahlen gelungen, was die LINKE nicht geschafft hat: Sie konnte sich als die Oppositionskraft gegen die etablierte Politik darstellen, als eine Anti-System- und Protestpartei. So konnte sie hunderttausende ehemalige Nichtwähler für sich gewinnen. »Wir wollen kein Koalitionspartner von niemandem sein, weil wir diese Politik bis aufs Messer bekämpfen werden«, sagte der stellvertretende AfD-Vorsitzende und Strippenzieher des neofaschistischen »Flügels« Alexander Gauland nach den Wahlen. Der AfD-Spitzenkandidat aus Sachsen-Anhalt André Poggenburg, der wie Björn Höcke ebenfalls dem »Flügel« angehört, sagte in einer ersten Reaktion: »Es gibt zurzeit gar keine wirklichen Oppositionsparteien mehr.«

Umwandlung in eine neofaschistische Kampfpartei
Die radikale Rechte verfügt momentan, vor allem in Ostdeutschland, über eine enorme gesellschaftliche Mobilisierungsfähigkeit, nicht nur bei Wahlen, was zuletzt der Aufmarsch von über 3000 Nazis und Rassisten aus dem Umfeld von »Pro Deutschland«, der NPD und Bärgida in Berlin gezeigt hat. Die große Gefahr ist, dass es dem neofaschistischen Flügel der AfD hinter Gauland, Höcke und Poggenburg gelingt, die Partei zu einer neuen faschistischen Partei in Deutschland zu machen, die – im Unterschied zu NPD und Republikanern – zum ersten Mal seit der Weimarer Republik im Jahr 2017 in Fraktionsstärke in das Nationalparlament einziehen könnte. Das würde die Stimmung im Land nachhaltig nach rechts verschieben.

Die Partei befindet sich mitten in einem Prozess der Faschisierung, das heißt in der Umwandlung von einer rechtspopulistischen Protestpartei in eine neofaschistische Kampfpartei. Die zunehmenden Straßenmobilisierungen und der strikte Oppositionskurs, den der neofaschistische Flügel der AfD vorgibt, sind Ausdruck dieser Tatsache.

Radikalisierung breiter Wählerschichten
Während die Parteivorsitzende Frauke Petry von einer Regierungsbeteiligung der AfD im Jahr 2021 spricht, wollen die Neofaschisten in der Partei nicht die Regierung im bürgerlichen Staat übernehmen, sondern das politische System als Ganzes bekämpfen, mit dem Ziel letztendlich die Arbeiterbewegung, die Gewerkschaften und linken Parteien sowie die parlamentarische Demokratie insgesamt zu zerschlagen.

Dem Vormarsch dieses radikalen Flügels liegt eine Radikalisierung breiter Wählerschichten durch die anhaltenden Massendemonstrationen in vielen größeren und mittleren Ortschaften zugrunde. Das haben nicht zuletzt die Kommunalwahlergebnisse in hessischen Städten wie Büdingen oder Wetzlar gezeigt, in denen die AfD nicht kandidierte, stattdessen aber die NPD über 10 Prozent erzielen konnte.

Es ist nicht zu spät
Diese Entwicklung ist jetzt noch aufzuhalten, dafür bedarf es aber einer großen Kraftanstrengung. Inhalt dieser Kraftanstrengung ist die Konfrontation der AfD mit Argumenten und auf der Straße.

Die 24 Prozent, welche die AfD in Sachsen-Anhalt gewählt haben, haben bis auf einen harten Kern kein geschlossenes rassistisches oder gar faschistisches Weltbild. Die AfD selber ist keine geschlossene Einheit, sondern ein Amalgam aus strategisch klarem Kern und vielen Mitläufern, Hier können wir mit guten Argumenten den Keil ansetzen: Den neofaschistischen Kräften in der AfD die konservative Maske abreißen und sie so von der Mitläufern in der Partei und den Wählern isolieren.

Antifaschistischer Grundkonsens
Allein als Partei DIE LINKE werden wir diese enorme Kraftanstrengung aber nicht bewältigen können. Was es braucht ist ein breites gesellschaftliches Bündnis gegen die AfD. Das Potenzial für ein solches Bündnis ist – bei allem Schock über das Wahlergebnis der AfD – vorhanden! Es speist sich unter anderem aus den bestehenden gesellschaftlichen Strukturen in der Bevölkerung, die vor dem Hintergrund des deutschen Faschismus einen antifaschistischen Grundkonsens aufrechterhalten, den hunderttausenden Menschen, die sich in den vergangenen Monaten über alle Maßen für Flüchtlinge eingesetzt haben und den vielen Organisationen und zivilgesellschaftlichen Verbänden, die unabhängig von ihren sonstigen politischen Ausrichtungen den oben benannten antifaschistischen Grundkonsens als Teil des Selbstverständnisses ihrer Mitglieder pflegen. Das umfasst zum Beispiel Gewerkschaften, reformistische Parteien wie SPD, Grüne und Piraten, aber auch Religionsgemeinschaften, Flüchtlingsorganisationen, KünstlerInnenvereinigungen, die meisten ASten und auch SchülerInnenvertretungen.

Gesellschaftliche Breite legitimiert offensives Vorgehen
Voraussetzung für eine breite Mobilisierung aus den genannten Spektren ist, dass die Gefahr, die von der AfD für eine solidarische und inklusive Gesellschaft ausgeht, verdeutlicht wird und sie nicht einfach als eine besonders rechte Partei innerhalb des neoliberalen Spektrums abgehakt wird. Es muss ausgesprochen werden was die AfD tatsächlich ist: Ein Sammelbecken für Nationalkonservative und Neofaschisten.

Das breite Spektrum eines solchen Bündnisses gegen die AfD legitimiert im Gegenzug dann das offensive Vorgehen gegen eben diese rassistische Gefahr und zwar viel effektiver, als es jede radikale Aktionen der revolutionären Linken tun könnte. Der bisherige Zuspruch zum jüngst gestarteten breiten Bündnis »Aufstehen gegen Rassismus«, welches sich klar die Bekämpfung der AfD zum Ziel gesetzt hat, bestätigt diese Einschätzung.

Warum auch mit der SPD?
Die Beteiligung der SPD an einer solchen Aktionseinheit wird mit dem Hinweis auf die zentrale Rolle ihrer Führung sowohl bei der Durchsetzung neoliberaler Politik als auch beim Schüren von Rassismus kritisiert. Diese Fragestellung ist für Kräfte links von der SPD nicht neu.

Die Sozialdemokratie ist doch nicht erst seit der Agenda 2010 eine zuverlässige Stütze der herrschenden Ordnung. Im Gefolge der Revolution 1918 spielte sie eine zentrale Rolle die revolutionäre Welle niederzuschlagen, ließ die Freikorps von der Kette welche tausende Arbeiter ermordeten sowie Teile der Führung der jungen KPD. Nach dem Kriseneinbruch 1929 unterstütze sie mit ihrer Tolerierungspolitik gegenüber dem Kabinett Brüning den Übergang in die Präsidialdiktatur und behinderte so den Kampf gegen den Faschismus.

Hegemonie in den Gewerkschaften
Trotzdem hat die genuin revolutionäre Tradition angesichts von Übergriffen von Kapital und Faschismus immer für eine Aktionseinheit mit der Sozialdemokratie gegen die aktuellen Bedrohung plädiert. Warum?

Weil wir die Politik der Führung der Sozialdemokratie nicht gleichsetzen mit den Erwartungen und Hoffnungen ihrer organisierten und unorganisierten Anhänger. Bei allen Differenzen wünschen sich viele Mitglieder und Anhänger der Sozialdemokratie ein entschlossenes Vorgehen gegen die rassistische Welle und wären bereit sich aktiv daran zu beteiligen. Das gilt insbesondere für den gewerkschaftlichen Bereich, in dem die Sozialdemokratie nach wie vor hegemonial ist. Es ist eine Illusion, das wir größere Teile der Gewerkschaften in eine Aktionseinheit ziehen können, wenn wir gleichzeitig versuchen die Sozialdemokratie auszugrenzen – durch die Verwobenheit der Beiden gibt es sie nur im Paket. Und es ist eine Illusion, das breitere gesellschaftliche sozialdemokratische Milieu in Aktivität einzubeziehen, ohne ein solches Aktionsangebot auch an die Führung zu machen.

Es geht auch völlig an der Situation vor Ort vorbei, wo oftmals Sozialdemokraten und Grünen schon konstituierende Bestandteile der existierenden antifaschistischen und antirassistischen Strukturen sind.

Aus der Geschichte lernen
Diejenigen, die sich jetzt gegen eine breite Aktionseinheit gegen die AfD wenden laufen Gefahr, traurige Wiedergänger der Vertreter der »Sozialfaschismustheorie« der stalinisierten KPD zu werden. Damals lehnte die KPD-Führung die Aktionseinheit ab und erklärte die SPD zum »Hauptfeind«, dessen Desorganisierung notwendige Voraussetzung für den Kampf gegen Faschismus sei. Damit spielte sie letztendlich der SPD-Führung in die Hände, die fälschlicherweise darauf setzte, dass der bürgerliche Staat die Nazigefahr bekämpft und auch kein Interesse an einer Aktionseinheit zeigte. Der Ausgang ist bekannt.

Wir können aber auch positiv aus der Geschichte lernen. Der »Sozialistische Deutsche Studentenbund« (SDS) war vor 1968 die konsequenteste Kraft gegen die geplanten Notstandsgesetze. Er hat sich gegen jede Änderung der Verfassung im Sinne einer Notstandsplanung ausgesprochen. Trotzdem hat der SDS 1967 einen großen Kongress organisiert, auf dem auch linke Sozialdemokraten und linksliberale Politiker als Redner eingeladen waren. Diese wandten sich nicht prinzipiell gegen Notstandsgesetze, lehnten die Gesetzentwürfe der Großen Koalition von Union und SPD aber als zu weitgehend ab. Dazu waren auf dem Kongress viele Gewerkschafter, die zwar grundsätzlich gegen die Notstandsgesetze waren, aber die Meinung vertraten, man müsse auf dem Boden der bestehenden Gesetzentwürfe »Verbesserungsvorschläge« machen. Sie wollten die Gesetzesentwürfe hier und da noch im Detail entschärfen, weil sie eine grundsätzliche Ablehnung »unrealistisch« fanden.

Der SDS hat durch diese Politik der Aktionseinheit es nicht nur geschafft, einen großen, erfolgreichen Kongress zu organisieren, sondern er ging politisch gestärkt und selbstbewusster aus diesem Kongress heraus.

Die Angst vor eventuellen »Verwässerungen« unserer Ziele zeugt von Unsicherheit und mangelndem Selbstvertrauen in die eigene Stärke und Überzeugungskraft. Wir haben die besseren Argumente.

Ein starkes eigenes Profil
Richtig ist natürlich, dass die LINKE als politische Kraft viel mehr tun muss als eine Einheit im Kampf gegen die AfD herzustellen. Dabei reicht es auch nicht, nur die richtigen sozialen Forderungen zu stellen. Das Kernproblem der LINKEN ist doch nicht das falsche Programm, sondern strategische Hilfslosigkeit in der Umsetzung desselben. Das hat nämlich bisher weder in Regierungsverantwortung noch mittels Proklamieren des Programms in der Opposition funktioniert. Hinter den Forderungen der LINKEN müssen reale Kräfte gruppiert werden, nämlich die Menschen, die sich schon jetzt einsetzen für besseren Wohnraum für alle, einen guten öffentlichen Dienst und alles weitere, welches das Leben von Geflüchteten wie bisher ansässiger Bevölkerung verbessert. Also muss sich die LINKE in die sozialen Kämpfe werfen – auch gegen die Verantwortungsträger der SPD, gegen die eine solche Politik durchzusetzen ist.

Und natürlich darf die LINKE nicht verstummen angesichts der von Sigmar Gabriel jüngst verantworteten Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien. Und natürlich muss die LINKE intensiv darüber nachdenken, warum die AfD mit so großer Leichtigkeit die Planstelle der Anti-Establishment-Opposition übernehmen konnte. Sie sollte kenntlich werden als radikale Opposition gegen Kapital und herrschenden Politikbetrieb. Ironischerweise hat unsere Partei vom Auftreten und Duktus eines waschechten Sozialdemokraten, nämlich des amerikanischen Präsidentschaftskandidaten Bernie Sanders viel zu lernen. Sanders artikuliert die große Unzufriedenheit von Millionen Amerikanern mit dem Status quo von links und ist so der Anti-Trump der Hillary Clinton als Teil des Status Quo nie sein kann.

Wir können das eine tun, nämlich mit vereinten Kräften gegen die AfD vorgehen, ohne das andere zu lassen, nämlich die LINKE zu profilieren.

Dieser Artikel erschien zuerst im »Neuen Deutschland«

Reaktion darauf von Heino Berg und Yannic Dyck