Der vorhersehbare Schock

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Die Landtagswahlen vom 13. März sind ein Warnschuss – DIE LINKE braucht dringend einen Kurswechsel. Von Sascha Stanicic

Selten haben Landtagswahlen so viel durcheinander gewirbelt, wie die Wahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt am 13. März. Die Alternative für Deutschland schnitt noch stärker ab, als allgemein erwartet wurde. Von der existierenden Opposition gegen AfD und gegen Rechtspopulismus in weiten Teilen der Bevölkerung haben zumindest in den beiden westlichen Bundesländern vor allem SPD und Grüne profitiert. Merkels Position innerhalb von CDU/CSU wird paradoxerweise dadurch gestärkt, dass CDU-SpitzenkandidatInnen verlieren, die ihre Linie kritisierten. Die CDU verliert zwar, wird aber wahrscheinlich in mehr Ländern als bisher regieren können. Die FDP ist wieder da. Und DIE LINKE landet da wo ihre Führung zur Zeit Politik macht: zwischen allen Stühlen.

Unisono wird behauptet, dass das Flüchtlingsthema das entscheidende Wahlthema gewesen sei. Diese These wird besonders gerne von LandespolitikerInnen bemüht, die damit die Behauptung verbinden, dass ihre tolle Landespolitik deshalb leider nicht zur Geltung kommen konnte. Keine Frage: die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung und der offene Streit darum in der Koalition waren ein entscheidender Faktor für viele Wählerinnen und Wähler – nicht nur für die der AfD. Aber es würde zu kurz greifen, den Durchbruch der Rechtsnationalisten nur darauf zurückzuführen. Das ist auch ein Grund, weshalb leider davon ausgegangen werden muss, dass der parlamentarische Erfolg der AfD kein so kurzlebiges Phänomen sein wird, wie die Wahlerfolge von Republikanern, DVU, NPD, Schill-Partei und anderen in der Vergangenheit.
Die AfD ist aber nicht nur Ausdruck von rassistischen Stimmungen in Teilen der Bevölkerung und nicht jedeR AfD-WählerIn ist RassistIn. Der AfD ist es gelungen aus den von vielen Kräften mitgeschürten irrationalen Ängsten vor der Zuwanderung Geflüchteter Kapital zu schlagen. Sie ist aber auch Ausdruck der Entfremdung weiter Teile der Bevölkerung von den etablierten Parteien und gesellschaftlichen Institutionen. Umfragen zeigen: sie wurde nicht aufgrund ihres Programms gewählt, sondern um den Etablierten einen Denkzettel zu verpassen. Das Thema Flüchtlinge war zwar für einen Großteil der AfD-WählerInnen das wichtigste Thema, es wurde aber gefolgt vom Thema soziale Gerechtigkeit. Das ist zwar absurd, weil die AfD als neoliberale Mittelstandspartei ein Programm für soziale Ungerechtigkeit vertritt, zeigt aber, dass viele ArbeiterInnen und Angestellte das gar nicht wahrgenommen haben, sondern die Gelegenheit ergriffen haben, ein Signal der Unzufriedenheit und des Protests auszusenden. Das zeigt sich auch an der gestiegenen Wahlbeteiligung und der Tatsache, dass die AfD überdurchschnittlich viele frühere NichtwählerInnen mobilisieren konnte.
Auch wenn die AfD von einer besonderen Konstellation – offener Streit in der Koalition, Hysterie zum Flüchtlingsthema, geringes Niveau von Klassenkämpfen und anderen sozialen Auseinandersetzungen – profitieren konnte, ist ihr Erfolg nur möglich, weil ein gefährlicher rassistischer und nationalistischer Bodensatz in der Gesellschaft existiert. Die Verantwortung für dessen Existenz liegt wiederum nicht zuletzt bei den Parteien und staatlichen Institutionen, die Ungleichbehandlung von MigrantInnen (Rassismus) und eine Wir-Gruppe „Deutsche“ (Nationalismus) über Jahrzehnte propagiert haben.
Es kommt jetzt darauf an, den Kampf gegen diesen Bodensatz zu führen und gleichzeitig denjenigen AfD-WählerInnen, die nicht dazu gehören, tatsächliche Alternativen gegen das kapitalistische Establishment anzubieten. Gleichzeitig könnten solche Alternativen auch diejenigen NichtwählerInnen mobilisieren, die das AfD-Angebot ausgeschlagen haben, aber sich auch in keiner anderen Partei – auch nicht der LINKEN – vertreten fühlen. Studien haben gezeigt, dass der Anteil von Menschen, die sich politisch links verorten, unter NichtwählerInnen überdurchschnittlich hoch ist. Dass sie diese nicht mobilisieren kann, muss der Partei DIE LINKE zu denken geben.
Wie der Kampf gegen Rechts nicht geführt werden sollte, haben diese Wahlen auch gezeigt. Denn offensichtlich wirkt die moralische Stigmatisierung der AfD durch eine Front von CDU/CSU bis LINKE nicht überzeugend und konnte den Durchbruch der Schießbefehl-Partei nicht verhindern. Die AfD zu stoppen ist keine ausreichende Motivation für Menschen, die von der herrschenden Politik die Nase voll haben, zur Wahl zu gehen und Parteien zu wählen, die sie für die Zustände, die sie ablehnen, verantwortlich machen.

DIE LINKE
Für DIE LINKE ist das Wahlergebnis ein Desaster. Es sollte zu einer breiten Debatte über Politik, Strategie, Schwerpunkte und Auftreten der Partei führen und einen Kurswechsel einleiten.
In Sachsen-Anhalt hat die Partei 7,4 Prozentpunkte verloren, 52.000 Wählerinnen und Wähler. Sie konnte keine früheren NichtwählerInnen mobilisieren, obwohl die Wahlbeteiligung gestiegen ist. Stattdessen hat DIE LINKE 28.000 WählerInnen an die AfD verloren. Der Traum der Parteirechten vom zweiten linken Ministerpräsidenten nach Bodo Ramelow ist zum Scherbenhaufen zerbrochen. Wulf Gallerts staatsmännisch-angepasster Wahlkampf hat zur Niederlage geführt. 47 Prozent der Befragten sagten in einer Umfrage, DIE LINKE mache auch keine andere Politik als die anderen Parteien, wenn sie einmal in der Regierung ist – warum dann also LINKE wählen?
Nun hat auch der anders – linker und oppositioneller – ausgerichtete Wahlkampf in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz kein besseres Ergebnis gebracht. Aber das kann man nicht gleich setzen. Denn natürlich ist es ungleich schwerer Wahlerfolge zu erzielen, wenn eine Partei eine schwächere Ausgangsposition hat – nicht im Parlament vertreten ist, weniger Mitglieder und organisatorische und finanzielle Möglichkeiten hat. So sehr das stimmt, wäre es aber eine zu kurz gegriffene Erklärung dafür, dass hier wieder der Einzug in die Landesparlamente verfehlt wurde. Es ist der LINKEN weder gelungen, die Stimmung gegen AfD und Rassismus – die es auch gibt – zum Ausdruck zu bringen und in Wählerstimmen zu verwandeln und es ist ihr nicht gelungen, die auch im Westen vorhandene Unzufriedenheit mit dem Establishment zu nutzen. Warum? In der Flüchtlingspolitik hat DIE LINKE zwar grundlegend andere Positionen vertreten, als CDU/CSU, SPD, FDP und Grüne (und AfD sowieso) und gegen die Asylrechtsverschärfungen gestimmt. Sie hat aber auch allzu oft den Eindruck erweckt, Merkels Haltung zur Flüchtlingsfrage gar nicht so schlecht zu finden. Gleichzeitig sendet ihr Spitzenpersonal aber widersprüchliche Signale aus (Ramelow lässt in Thüringen abschieben, Lafontaine spricht sich für Obergrenzen aus, Wagenknecht redet von „Gastrecht“ für Geflüchtete). Vor allem aber gelingt es der LINKEN nicht, die Frage von Flüchtlingen und Rassismus überzeugend mit der sozialen Frage zu verknüpfen, deutlich zu machen, dass Rassismus nur den Mächtigen dient, weil er spaltet und überzeugend für einen gemeinsamen Kampf für soziale Verbesserungen für alle Betroffenen zu werben. Hinzu kommt, dass ihr ganzes Auftreten ausstrahlt, dass sie von den anderen Parteien endlich akzeptiert und von SPD und Grünen (und im Denken Wulf Gallerts kurzzeitig auch von der CDU) als möglicher Koalitionspartner betrachtet werden will, anstatt diesen mal den Varoufakis-Finger zu zeigen und einen Ton anzuschlagen, der unmissverständlich deutlich macht, dass man nicht darauf setzt mit den Agenda-Parteien zu kooperieren, sondern diese konsequent zu bekämpfen. Wer nach dem Durchbruch der AfD als selbsternannter „einziger Oppositionskraft“ immer noch behauptet, eine klare Absage an Regierungsbeteiligung würde Wählerstimmen kosten, lebt auf dem Mond oder will sich eben doch nicht den Weg auf die Regierungsbank versperren.
Dass es auch anders geht zeigten eine Woche zuvor die Ergebnisse der LINKEN in vielen hessischen Kommunen, wie Kassel, Marburg oder Gießen. Dort legte die Partei deutlich zu. Basis hiervon ist ein bewegungsorientierter Landesverband, der sich nicht als Regierungspartei im Wartestand, sondern als linke Opposition präsentiert und Kreisverbände, die Kampagnen gegen Privatisierung von Krankenhäusern und Fahrpreiserhöhungen geführt haben und sich als bündnisfähig mit anderen linken Kräften und sozialen Bewegungen bewiesen haben.
Katja Kipping sagt zum Wahlausgang: “Uns war bewusst, dass ein klarer Kurs für Weltoffenheit und Solidarität uns Stimmen kosten würde.” Das würde im Umkehrschluss ja heißen, dass 97 Prozent der WählerInnen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, dass alle die nicht DIE LINKE gewählt haben, gegen „Weltoffenheit und Solidarität“ eingestellt wären. Dem ist natürlich nicht so. Das Problem ist, dass so viele nicht daran glauben, dass die Wahl der LINKEN einen Unterschied macht.
Weil DIE LINKE nicht als wirkliche linke Alternative überzeugt, hat die Polarisierung in der Flüchtlingsfrage vor allem denjenigen Kräften genutzt, die dachten, dass man in der Auseinandersetzung Merkel gegen Seehofer und AfD die Kanzlerin unterstützen müsse– was paradoxerweise in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg nicht zur Wahl der CDU, sondern zur Wahl von Malu Dreyer und Winfried Kretschmann führte – und DIE LINKE landete zwischen den Stühlen.
Sahra Wagenknecht hat in ihrer Stellungnahme zu den Wahlen richtige Fragen aufgeworfen: „Aber wäre es nicht wichtig gewesen, sich stärker von der sozial verantwortungslosen Ausgestaltung der Flüchtlingspolitik der Großen Koalition abzugrenzen, statt den Medien zu ermöglichen, uns als scheinbare Unterstützer der Merkelschen Flüchtlingspolitik mitzuverhaften? Wo haben wir den Kontakt zu den sozialen Interessen unserer eigenen Wähler verloren? Weshalb sind wir in den Augen so vieler offenbar zum Teil des etablierten Parteienkartells geworden und werden nicht mehr hinreichend als profilierte Gegenkraft wahrgenommen? Haben wir die soziale Frage vielleicht nicht mehr genug in den Mittelpunkt gestellt?“
Das passt nur wenig zu ihrem Interview im Berliner Kurier vom Vorwahltag, in dem sie mit der Aussage „Eskönnen nicht alle Flüchtlinge kommen“ und einer Warnung vor „Parallelwelten“ durch fehlschlagende Integrationspolitik gerade selbst den Eindruck erweckte, dass sie in der Flüchtlingspolitik gar nicht so weit weg von den etablierten Parteien steht.

Rechtsruck?
Die Wahlergebnisse markieren auf der parlamentarischen Ebene eine deutliche Rechtsverschiebung. Es wäre aber falsch, dies mit einem gesamtgesellschaftlichen Rechtsruck gleichzusetzen. Jüngste Umfragen zeigten, dass die größte Sorge in der Bevölkerung gerade das Anwachsen rechtsradikaler Kräfte ist und es keine verallgemeinerte rassistische Stimmung gegen Flüchtlinge gibt. Die Rechten sind lauter, selbstbewusster und gefährlicher geworden. Das Potenzial für eine Gegenbewegung besteht aber, auch wenn das in den Wahlergebnissen nicht zum Ausdruck kommt.
Welche Folgen wird der AfD-Erfolg für die weiteren politischen Entwicklungen haben? Alle drei Landesregierungen sind abgewählt worden, wenn auch die SPD in Rheinland-Pfalz und die Grünen in Baden-Württemberg zulegen konnten. In der Konsequenz stärkt das jedoch die Position der CDU, die nun möglicherweise wieder in diese beiden Landesregierungen einziehen kann. In jedem Fall werden neue Koalitionen ausgetestet werden müssen. In Sachsen-Anhalt gibt es nur eine Mehrheit für CDU, SPD und Grüne. Kommt diese nicht zustande müsste es wohl zu Neuwahlen kommen. In Baden-Württemberg müssen Grüne und SPD entweder die FDP ins Boot holen oder aber es kommt nach Hessen zur zweiten Koalition zwischen CDU und Grünen – diesmal aber unter Führung der Grünen. Ob es dazu kommt ist offen. Die Option einer erstmaligen „Deutschland-Koalition“ aus CDU, SPD und FDP scheint aber aufgrund der Ablehnung durch die SPD schon wieder vom Tisch zu sein. Und in Rheinland-Pfalz könnte nur eine Koalition aus SPD, Grünen und FDP eine CDU-Regierungsbeteiligung verhindern. Diese Schwierigkeiten bei der Koalitionsbildung mögen unmittelbar ein Problem für die Herrschenden darstellen und die politische Situation instabiler werden lassen, in Bezug auf die 2017 anstehenden Bundestagswahlen können sie aber auch – notgedrungen – willkommene Testläufe für neue Koalitionsoptionen der etablierten, prokapitalistischen Parteien bedeuten.
Die SPD versucht mit dem Abfeiern des Wahlerfolgs in Rheinland-Pfalz von dem eigentlichen Trend abzulenken. In Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt ist sue nur noch viertstärkste Kraft. In bundesweiten Umfragen krebst sie irgendwo zwischen 22 und 25 Prozent herum. Die „stärkste der Parteien“ ist zur Mehrheitsbeschafferin für die CDU geworden und es wenden sich immer größere Teile der Lohnabhängigen von ihr ab. Gabriels Vorschlag für ein „Sozialprogramm“ war nationalistisch begründet und als Wahlkampfmanöver durchschaut worden. Eine wahrnehmbare innerparteiliche Linke gibt es nicht und keinen Grund anzunehmen, dass sich der bestehende Trend in absehbarer Zukunft umkehren wird.
Merkel wird über diese Landtagswahlen nicht scheitern. Ob sie in den nächsten Wochen und Monaten gestärkt oder geschwächt wird, hängt vor allem vom Ausgang des nächsten EU-Gipfels und der Frage ab, ob die Schließung der EU-Außengrenzen gelingt und die Geflüchteten erfolgreich an die Türkei verkauft werden können. Sollte die Zahl der nach Deutschland kommenden Geflüchteten weiter sinken, wird sie das als Erfolg ihrer Politik verkaufen können – auf dem Rücken der Frauen, Männer und Kinder, die dann in türkischen Flüchtlingslagern zusammen gepfercht und einer lebenswerten Zukunftsperspektive gänzlich beraubt werden.
Klar ist aber auch: Merkel profitiert noch von einer wirtschaftlichen Situation, die sich angesichts der sich verstärkenden Krisenprozesse in der Weltwirtschaft schnell zum Schlechteren verändern kann. Dann werden auch soziale Auseinandersetzungen und Klassenkämpfe wieder zunehmen und die soziale Frage größeres gesellschaftliches Gewicht erlangen.
Für Linke muss gelten: der Kampf gegen Rassismus und Nationalismus – nicht nur, aber auch in Form der AfD – muss mit größter Entschlossenheit fortgesetzt werden. Das aber nicht durch ein Verwischen der Abgrenzung zu Merkels Flüchtlingspolitik und zu SPD und Grünen, sondern durch eine Kampagne, die sich den Rechten in den Weg stellt, über die sozialen Inhalte der AfD-Politik aufklärt und den Kampf gegen Rassismus mit dem Kampf für soziale Verbesserungen verbindet. Ein Beispiel, wie das möglich ist, ist das Bündnis „Soziales Berlin gegen Rassismus“.

Zuerst veröffentlicht auf: sozialismus.info