Wir widersprechen! Gegen die zunehmende Sozialdemokratisierung der Linkspartei

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Erklärung der Antikapitalistischen Linken Berlin zum Landesparteitag von DIE LINKE. Berlin, 11.-13.03.2016

Wir, die Antikapitalistische Linke Berlin, hatten vor dem kommenden Landesparteitag von DIE LINKE. Berlin, in dem das Wahlprogramm beschlossen werden soll und die Landesliste zu der Wahl des Abgeordnetenhauses aufgestellt wird, keine hohen Erwartungen. Doch was macht die Parteiführung des Berliner Landesverbands? Mit ihren Vorschlägen tanzt sie sogar noch Limbo unter unseren niedrigen Ansprüchen hinweg. Die Parteispitze schlägt eine Landesliste vor, auf der lediglich Kandidat*innen berücksichtigt werden, die für ein rot-rotes Bündnis (oder rot-rot-grünes) stehen. Kandidat*innen, die demokratisch durch Bezirksmitgliederversammlungen – beispielsweise in Neukölln – legitimiert wurden und einer Regierungsbeteiligung unter derzeitigen Verhältnissen kritisch gegenüberstehen, werden ignoriert. Das Wahlprogramm ist ebenfalls auf Regierung gepolt. Die Kompromissbereitschaft wird an den Stellen am deutlichsten, in denen die Schuldenbremse, Hartz IV und Abschiebungen auf Bundesebene abgelehnt wird, aber auf Berliner Ebene angeboten wird, das „Beste“ daraus zu machen: „Wir setzen uns daher für einen Abschiebestopp zumindest im Winter ein“; „…um die Folgen von Hartz IV zu mildern und soziale Missstände effektiv zu bekämpfen“; „Aber wir können nicht ignorieren, dass die Schuldenbremse ab 2020 verbietet, neue Schulden zu machen. (…) Wir werden daher Wege finden, wie wir trotz Schuldenbremse zusätzliche Investitionen in die öffentliche Infrastruktur unter Nutzung des niedrigen Zinsniveaus finanzieren können.“

Für uns steht jedoch fest, dass eine sozialistische Partei ein Wahlprogramm vorlegen sollte, dass folgende politische Ausrichtung hat:

DIE LINKE lehnt die Sachzwänge kapitalistischer Logik (insbesondere Schuldenbremse, Hartz IV, Abschiebungen) generell ab.

Daraus folgt: Eine linke, ehrliche Politik kann unter den Vorzeichen der Schuldenbremse und im Bündnis mit SPD und Grünen in der Regierung keinen Erfolg versprechen.

Daraus folgt: DIE LINKE lehnt eine Beteiligung am Senat unter diesen Voraussetzungen ab.
Die parlamentarische Linke sieht sich als Arm der außerparlamentarischen Bewegungen. Der Druck von der Straße ist die notwendige Bedingung für grundlegende Veränderungen. Stellvertreterpolitik im Parlament wird abgelehnt. DIE LINKE wird alle Initiativen unterstützen, die einen sozialen, demokratischen, gesellschaftlichen und ökologischen Fortschritt bedeuten, ohne dabei im Senat vertreten zu sein.
DIE LINKE wird an keiner Stelle ihre eigene Verantwortung zur Privatisierung und zum sozialen Wohnungs- und Stellenabbau in Berlin unter Rot-Rot leugnen und damit zu einer Beschönigung und Falschdarstellung der eigenen Regierungsgeschichte beitragen.
Ohne Wenn und Aber: Flüchtlinge willkommen! Stopp aller Abschiebungen von Berlin aus!
Wir sehen keine noch so kleinen Zugeständnisse an den bewegungsorientierten linken Flügel unserer Partei; wir sehen noch nicht einmal ein Eingehen auf Genoss*innen, die eine Regierungsbeteiligung nicht grundsätzlich ablehnen, aber diese an gewisse Mindestbedingungen geknüpft wissen wollen.

Des Weiteren fordern wir die Parteiführung auf, die Landesliste plural aufzustellen; das bedeutet, dass alle Bezirke und Zusammenschlüsse innerhalb der Partei durch die Landesliste vertreten sein müssen (nicht unbedingt personell, aber inhaltlich).

Wir sind fassungslos! Dieses Vorgehen wird Genoss*innen bedingungslos Posten im Senat verschaffen; es verpasst damit jedoch die Chance, die Partei geschlossen hinter den Wahlkampf zu versammeln.

Warum lehnt die AKL den Vorschlag zum Wahlprogramm grundsätzlich ab?

Der Vorschlag zum Wahlprogramm 2016 ist sehr schlecht. Er vermittelt den Eindruck, einzig die Stimme und der Wahlerfolg für DIE LINKE bei den Abgeordnetenhauswahlen würde ausreichen, um Berlin zur Insel der Glückseligkeit werden zu lassen. Doch leider machen die sich verschärfenden Widersprüche des Kapitalismus nicht vor den Toren Berlins halt. Regieren ist derzeit nur unter Sachzwängen möglich, die das Eintreten der Versprechen im Wahlprogramm verhindern. Ein großer Teil des Politik- und Parteienverdrusses basiert jedoch darauf, dass Parteien viel versprechen, aber es häufig nicht realisieren können / wollen. In dem Vorschlag der Landesvorsitzenden gibt es nur die Option der Regierungsbeteiligung. Zumindest suggeriert der Vorschlag, dass die Senatsbeteiligung der Partei DIE LINKE nach 2016 nur durch Arithmetik oder durch ein Nein der Grünen verhindert werden könne. Das würde bedeuten, dass es sehr wahrscheinlich ist, Juniorpartnerin einer oder mehrerer neoliberaler Parteien zu werden, unter denen eine linke Politik sowieso nicht möglich ist. Auf dem letzten Parteitag wurde behauptet, dass man aus den Fehlern von Rot-Rot gelernt hätte, doch das Wahlprogramm spricht eine andere Sprache. Dem Vorschlag zum Wahlprogramm fehlt eine Analyse der bestehenden Verhältnisse und den daraus resultierenden politischen Optionen, an Stelle dessen vermittelt das Programm eine derartige Staatstreue und Konformität, dass Menschen beim Lesen schwindelig wird. So wird z.B. mehr Polizei und die Begrenzung des ausufernden (sic!) Einsatzes von Pfefferspray durch die Polizei gefordert.

Dieser Vorschlag zum Wahlprogramm ist nicht reformierbar. Auch die wohlmeinenden Änderungsvorschläge verändern die Intention des Antrags nicht.

Eine sozialistische Partei muss den Widerstand gegen die sozialen Verwerfungen kapitalistischer Strukturen formieren und / oder unterstützen. Anstatt das Elend im Land Berlin zu verwalten und die Sachzwänge des Kapitalismus zu akzeptieren, muss sie gemeinsam mit denjenigen Menschen kooperieren, die am meisten unter den herrschenden Verhältnissen leiden; das ist die Mehrheit der Bevölkerung, die jedoch nicht von der Mehrheit der im Parlament sitzenden Parteien vertreten wird. Die These, dass DIE LINKE den Kapitalismus besser verwalten könne als andere neoliberale Parteien, ist falsch. Mehr noch: Eine erneute Auflage von Rot-Rot oder auch R2G würde die Mehrheit der Menschen (Mieter*innen, Sozialverbände, Umweltverbände, Migrant*innen…) weiter von der Partei entfernen. DIE LINKE würde, wenn sie nur mitspielt, statt die Bedingungen der Ausbeutung anzugreifen, überflüssig und sie würde das Vertrauen derer verlieren, die heute noch DIE LINKE unterstützen. Wir müssen uns fortan von dem Gedanken lösen, dass der demokratische Sozialismus zu erreichten sei mit Anträgen und Beschlüssen im Parlament ohne gesellschaftliche Brüche und ohne eine wirkungsvolle Gegenmacht. Der Entwurf zum Programm ist aber letztlich nur eine (schlechte) Kopie sozialdemokratischer Stellvertreterpolitik, die den Menschen in Berlin und anderswo schadet. DIE LINKE muss gerade in diesen Zeiten, in denen es die Gefahr einer gesellschaftlichen Entwicklung nach rechts gibt, die Alternative sein; sie muss das in Wort und Tat klar machen, um die Rechtsaußen-Spinner von AfD, Pegida und Co. auszubremsen. Viele, die von dem kapitalistischen System in die Armut gezwungen wurden oder die nun mit dem blanken Hintern auf der Straße sitzen, haben berechtigte Wut auf die neoliberalen Parteien. DIE LINKE muss hier glaubhaft sein und klar antirassistisch und antikapitalistisch argumentieren. Deswegen müssen wir betonen, dass Abschiebungen mit DIE LINKE nicht zu machen sind (das wurde im Übrigen bereits in den Leitlinien zur Wahl beim letzten Landesparteitag so aufgenommen). Dieser Punkt muss wegen der aktuellen Lage zentral im Vordergrund stehen und mit weitreichenden antikapitalistischen Positionen untermauert werden (Leerstandenteignung, Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums,…). DIE LINKE verfolgt im Wahlkampf und darüber hinaus das Ziel Neumitglieder zu gewinnen und den Parteiaufbau voranzutreiben, dieses Vorhaben wird jedoch durch die Regierungsoption torpediert.

Im Wahlkampf muss deutlich werden: Es gibt keine Opposition neben der Partei DIE LINKE.

„Nichts ist schwerer und erfordert mehr Charakter, als sich in offenem Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: Nein!“ (Kurt Tucholsky)

Die AKL sagt NEIN zu diesem Vorgehen der Parteiführung! NEIN zum sozialdemokratischen Kurs der Mehrheit des Landesvorstands!