Zwischen Hass und Solidarität

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Rassismus, Wahlen, AfD – zur Lage in der Bundesrepublik. Von Sascha Stanicic

Dresden, Clausnitz, Bautzen – diese sächsischen Städte machen Schlagzeilen mit rassistischen Demonstrationen, Brandanschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte und Polizeigewalt gegen Migrantenkinder.
Augsburg, Siegburg, Münster – diese Städte machen weniger Schlagzeilen, stehen aber mit ihren großen Protesten gegen AfD-Veranstaltungen für das „andere Deutschland“. Was aufgrund der steigenden Umfragewerte für die AfD und die Rechtsentwicklung der Regierungspolitik wie eine gesellschaftliche Rechtsverschiebung aussieht, ist tatsächlich eine Polarisierung. Gewerkschaften und LINKE versagen nur leider dabei, dieser auch einen Ausdruck nach Links zu geben.
Von Sascha Stanicic
Das Jahr 2016 begann mit einem dramatischen Rückgang der Unterstützung für Kanzlerin Merkel und die Bundesregierung in Meinungsumfragen und einem Höhenflug der AfD, der sie auf bis zu zwölf Prozent bundesweit und bis zu 17 Prozent in ostdeutschen Bundesländern brachte. Zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe von sozialismus.info (zwei Wochen vor den Wahlterminen) erscheint es sicher, dass die rassistische Truppe um Frauke Petry bei den Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt am 13. März abräumen und die etablierten Parteien in Bedrängnis bringen wird.
Diese Entwicklung hat wesentlich vier Gründe: Erstens die rassistische Instrumentalisierung der Übergriffe auf Frauen in der Kölner Silvesternacht. Das hat das Auftreten von Rassisten und Nationalisten radikalisiert und die Stimmung gegen Flüchtlinge beeinflusst. Zweitens die Tatsache, dass Merkels Kurs bisher nicht zur Einlösung des Versprechens geführt hat, die Zahl der nach Deutschland kommenden Geflüchteten zu senken. Drittens den offenen Streit in der Großen Koalition, der den Eindruck erweckt, die Regierung hat die Lage nicht mehr unter Kontrolle und damit zu Verunsicherung beiträgt. Und viertens: das Totalversagen von Gewerkschaften und LINKE dem zunehmenden Rassismus und der Regierungspolitik eine überzeugende Gegenargumentation und -strategie entgegenzusetzen.
Der Streit in der Großen Koalition gibt dem Merkel-Flügel der Union und der SPD die Gelegenheit gleichzeitig rassistische Asylrechtsverschärfungen zu verabschieden und sich als VerteidgerInnen einer humanen Einwanderungspolitik zu präsentieren. Das haben sie vor allem Horst Seehofer und seiner CSU zu verdanken, die den rechtspopulistischen Lautsprecher machen und versuchen mit Forderungen nach Obergrenzen und nationalen Alleingängen die Regierungspolitik nach Rechts zu treiben. Das ist ihnen auch gelungen. Aus „Wir schaffen das!“ ist auch bei Angela Merkel schon seit Monaten ein „Wir müssen die Flüchtlingszahlen begrenzen!“ geworden. Uneinigkeit besteht nur noch über den Weg zu diesem Ziel.
Uneinigkeit in Regierung
Diese Uneinigkeit drückt tiefer liegende Differenzen und Interessenlagen im deutschen Bürgertum aus und steht in einer Kontinuität zu den Kontroversen innerhalb der Union über Merkels EU-Politik. Schon die Ablehnung der fälschlicherweise als „Rettungspakete“ titulierten Sozialkürzungsprogramme für Griechenland von Teilen aus CDU/CSU drückte aus, dass manche deutsche Kapitalisten, die ihre Profite weniger mit dem Export machen, in Euro und EU eher eine Belastung als eine Quelle von Macht und Rendite sehen. Dies ist eine Minderheit, aber sie hat begonnen sich zu artikulieren. Tatsächlich war die Gründung der AfD als Anti-Euro-Partei durch Wirtschaftsprofessor Lucke und Ex-Arbeitgeber-Chef Henkel Ausdruck dieser Trennlinie unter den Reichen und Superreichen der Republik. Merkel hingegen bringt die Interessen der großen Banken und Konzerne zum Ausdruck, die durch Euro und offenen Warenverkehr in der EU aus viel Geld super-viel Geld gemacht haben.
Es gibt auch keine wirkliche Kontroverse um die Frage, ob es zu Einwanderung nach Deutschland kommen soll. Auch wenn sie es nicht zugeben will, hat auch die CDU/CSU längst anerkannt, dass die Bundesrepublik ein Einwanderungsland ist und ihre Politik darauf ausgerichtet. Die Flüchtlingsbewegung des vergangenen Jahres wurde sogar als Chance gesehen, die Zuwanderung – die als notwendig betrachtet wird – zu steigern und gerade eine Schicht gut ausgebildeter Menschen aus Syrien ins Land zu holen. Es mag unterschiedliche Meinungen dazu geben, wie viele ZuwandererInnen ins Land gelassen werden sollen, vor allem aber wollen alle Beteiligten der etablierten pro-kapitalistischen Parteien, dass die Einwanderung kontrolliert und begrenzt vonstatten geht. Nur wie?
Merkel hat verstanden, dass die hohe Zahl der Geflüchteten und die angespannte Situation in Griechenland und auf der Balkanroute bedeutet, dass der Bestand des Schengen-Abkommens und der Europäischen Union insgesamt in Frage gestellt sein könnte, wenn es keine „europäische Lösung“ gibt. Dies vor allem, weil die Gefahr besteht, dass rechtspopulistische und nationalistische Kräfte die Regierung in immer mehr EU-Staaten übernehmen könnten und einen Anti-EU-Kurs einschlagen könnten. Der Kontrollverlust über die Regierungen wäre für die europäischen Kapitalisten weitaus gefährlicher, als der Kontrollverlust über die Einwanderung. Beides hängt aber eng zusammen. Deshalb ihre Bereitschaft dem Kriegstreiber Erdogan Milliarden in den Hintern zu blasen und ihm freie Hand im Krieg gegen die kurdische Bevölkerung zu lassen, deshalb die verzweifelten Versuche deutlich höhere Summen für die Syrien-Hilfe zusammenzubekommen und einen Waffenstillstand auszuhandeln und deshalb ihr Drängen auf europäische Kontingente.
Kann Merkels Plan aufgehen?
Bisher erscheint diese Strategie wenig erfolgreich. Ende Februar intensivierten sich die Kämpfe in Syrien sogar und die Türkei griff militärisch durch Artilleriebeschuss kurdischer Stellungen in den Konflikt ein. Die Flüchtlingsströme aus Syrien in Richtung Türkei reißen nicht ab und nach Zeitungsartikeln befinden sich zusätzlich 200.000 Geflüchtete in Libyen, die versuchen wollen den Weg über das Mittelmeer nach Europa zu wagen. Österreich, Ungarn, Polen, die Slowakei und Tschechien setzen auf unilaterale Maßnahmen wie die Festlegung von Obergrenzen und die Errichtung eines Grenzzauns zwischen Mazedonien bzw. Bulgarien und Griechenland. Und selbst Frankreich sagt, es sei nicht bereit mehr als die 30.000 schon zugesicherten Geflüchteten aufzunehmen. Kein Wunder also, dass in den bundesdeutschen Talkshows offen über die Zukunft von Merkel und der Großen Koalition debattiert wird. Merkel scheint angezählt. Doch es fällt auch auf, dass kaum ein Journalist das Wort „Regierungskrise“ in den Mund nimmt. Und ein genauerer Blick macht deutlich, dass die Entwicklung der nächsten Monate sehr offen ist.
Die Lage für Merkel ist ernst. Von sehr hohen Zustimmungsraten ist sie deutlich abgesackt, befindet sich aber immer noch auf einem Niveau, für das sie so mancher andere Regierungschef beneidet. Hinzu kommt, dass die Regierung tatsächlich nur an der einen Frage der Asyl- und Zuwanderungspolitik in der Krise steckt. Abgesehen davon zeigt sich die Große Koalition sehr handlungsfähig – ob bei den Auslandseinsätzen der Bundeswehr, dem Erfüllen von Arbeitgeberwünschen beim Thema Werkverträge oder der deutlich gestiegenen Genehmigung von Waffenexporten. Paradoxerweise ist die Regierung bei einem Thema unter Beschuss, zu dem ihre Position von der Mehrheit der Bevölkerung nach allen Umfragen geteilt wird. Denn der Kernaussage von Merkels Politik stimmen die meisten zu: „Menschen, die vor Krieg und Verfolgung nach Deutschland fliehen, muss Schutz gewährt werden. Aber die Zahl der nach Deutschland kommenden Flüchtlinge muss begrenzt werden.“ Alles hängt also davon ab, ob der zweite Teil dieser Aussage gelingt. Und das ist immer noch nicht ausgeschlossen.
Wobei klar sein muss, dass ein „Gelingen“ auf Kosten der Geflüchteten ginge. Denn angesichts fortgesetzter neokolonialer Ausbeutung und von Rekordexporten der deutschen Rüstungsindustrie in alle Welt, werden die Flüchtlingszahlen nicht dadurch gesenkt werden, dass die tatsächlichen Fluchtursachen bekämpft werden und die Menschen in ihrer Heimat bleiben bzw. in diese zurück kehren können. Wenn überhaupt werden weniger Menschen nach Deutschland kommen, weil sie in den überfüllten Flüchtlingslagern des Libanons, Jordaniens und der Türkei bleiben müssen bzw. an den Außengrenzen der Türkei bzw. Griechenlands scheitern.
Das ist aber weit weg und sollte die Zahl der Schutz suchenden auf 30.000 bis 40.000 im Monat zurück gehen, wird Merkel das als Erfolg ihrer Politik verkaufen können und die Lage könnte sich – nur vorübergehend natürlich – beruhigen und die AfD zumindest etwas gestutzt werden. Denn diese ist von der Ein-Punkt-Protest-Partei zum Thema Euro, als die sie Ende 2014 schon mal bei zehn Prozent in Meinungsumfragen lag, zur Ein-Punkt-Protest-Partei zum Thema Migration geworden. Nach dem Super-GAU in Fukushima lagen die Grünen kurzzeitig bei bis zu 24 Prozent in Meinungsumfragen, die Piraten lagen im April 2012 bei zwölf Prozent und sind mittlerweile fast schon vergessen. Auch wenn vieles dafür spricht, dass die AfD sich als sechste Partei im Parteienspektrum etablieren kann, ist sie keine stabile Erscheinung, schon gar nicht in der derzeitigen Größenordnung. Sie kann aber aufbauen auf einer nationalistischen Grundkonsens und einem rassistischen Bodensatz in der Gesellschaft, welche vom kapitalistischen Establishment – Parteien, Regierungen, Medien, Institutionen – zu verantworten sind.
Noch spielt auch die ökonomische Situation der Regierung in die Hände. Das Wachstum ist zwar nicht besonders hoch, aber 2015 war ein neues Rekordjahr für die Exporte – und die Haushaltsüberschüsse von Bund und Ländern. Auch die Zahl der Beschäftigten ist um weitere 700.000 gestiegen, wobei viele dieser Jobs im Niedriglohnbereich ungesicherter Arbeitsverhältnisse sind. Trotzdem erzeugt die wirtschaftliche Lage zur Zeit etwas weniger Druck auf Regierung und Kapital. Nur: das wird nicht so bleiben und die Veränderung hat mit den Krisenprozessen in der Weltwirtschaft (siehe Artikel auf Seite xy) schon begonnen. Der Rückgang der Verkäufe deutscher Autobauer nach China zum Jahresende 2015 kann in diesem Zusammenhang als Wetterleuchten betrachtet werden.
Wenn Merkels Plan jedoch scheitert, dann ist eine Fortsetzung der Politik des letzten halben Jahres kaum vorstellbar. Die zu erwartenden Niederlagen bei den Landtagswahlen im März mag die Kanzlerin mittlerweile einkalkuliert haben. Paradoxerweise könnten die Wahlerfolge der AfD ja sogar die CDU zurück auf die Regierungssessel in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg bringen und einen Wechsel in Sachsen-Anhalt verhindern. Ein weiterer Effekt wird wahrscheinlich das Comeback der FDP in Westdeutschland sein. Das zusammen mit dem Rechtsruck der Grünen im „Ländle“, könnte die Zahl der Koalitionsoptionen für die etablierten Parteien wieder erhöhen. So ist nicht auszuschließen, dass es in Baden-Württemberg zu zweiten schwarz-grünen Landesregierung nach Hessen kommt. Und auch ein Einbeziehen der FDP in eine Regierung wäre eine Möglichkeit, um die „kleine Partei des großen Kapitals“ aufzupeppeln und für einen Wiedereinzug in den Bundestag im September 2017 in Position zu bringen. Aber ohne einen Rückgang der Zahl der nach Deutschland einreisenden Geflüchteten, wird der Druck weiter zunehmen. Dann ist auch in der Bundesrepublik eine „schwedische Wende“ vorstellbar, also eine Kehrtwende in der Flüchtlingspolitik hin zu Grenzschließung, drastisch verschärfter Abschiebepolitik und einer Form von Obergrenzen (wahrscheinlich unter einem anderen Begriff). Ergebnis einer solchen Entwicklung wäre aber nicht ein Ende der nach unten weisenden Werte für Merkel und der nach oben weisenden Werte für die AfD. Denn das wäre in den Augen vieler eine Bestätigung der AfD-Propaganda und würde diese nur weiter stärken, so wie die rechtsradikalen Schwedendemokraten nach dem Kurswechsel der Regierung weiter zulegen konnten.
Polarisierung
Die Zunahme rassistischer Gewalt, die Erfolge der AfD und die Fülle rechtsradikaler Demonstrationen macht vielen Menschen Angst. In den sozialen Medien heißt es immer häufiger, dass man sich nun vorstellen könne, wie die gesellschaftliche Entwicklung zu Beginn der 1930er Jahre verlief. Zweifellos ist die Lage ernst, wenn selbst Polizeisprecher von der Gefahr pogromartiger Zustände in Sachsen warnen. Hier ist es den Faschisten und Rassisten von NPD und Pegida in einem besonderen Maße gelungen, Teile der Bevölkerung aufzuhetzen und eine Basis aufzubauen. Hier treffen diese Kräfte aber auch auf einen offensichtlich von Rechten und Rassisten durchsetzten Staatsapparat, der sie mehr gewähren lässt als anderswo. Aber rassistische Gewalt ist kein sächsisches Problem, es ist hier nur ausgeprägter. Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte gab es in allen Bundesländern, in Ost und West. Die AfD legt im Osten zwar mehr zu als im Westen, aber auch in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg wir sie wahrscheinlich deutlich über der Fünf-Prozent-Marke liegen. Oberflächlich betrachtet entwickelt sich das ganze Land nach Rechts.
Es wäre aber falsch, einfach von einem gesellschaftlichen Rechtsruck zu sprechen. Tatsächlich verstärkt sich die gesellschaftliche Polarisierung an diesen Fragen. Das Potenzial für linken und klassenbasierten Widerstand haben wir im Verlauf des vergangenen Jahres an vielen Stellen gesehen: bei den diversen Streiks, bei den vielen erfolgreichen Mobilisierungen und Blockaden gegen rechte Aufmärsche, bei der massenhaften Hilfs- und Solidaritätswelle für die ankommenden Flüchtlinge, bei der riesigen Demonstration gegen TTIP am 10. Oktober. LINKE und Gewerkschaften versagen aber darin, dieses Potenzial zusammenzufassen und einen klaren klassenmäßigen Ausdruck zu geben. Deshalb stagniert DIE LINKE in Meinungsumfragen, während die AfD zulegen kann. Im Ergebnis führt die Polarisierung im Moment zu einer Rechtsverschiebung der herrschenden Politik und einer Stärkung rechtspopulistischer und neofaschistischer Kräfte.
Dabei ist das Bewusstsein in der Arbeiterklasse und der Bevölkerung insgesamt extrem unterschiedlich, widersprüchlich und im Fluss. Das Gefühl, dass die Welt immer mehr aus den Fugen gerät und die Auswirkungen davon nun auch die Menschen in der Bundesrepublik betreffen, hat in den letzten Monaten zweifellos zugenommen.
Das muss zwangsläufig zu Abwehr- und Verteidigungsreaktionen im Denken der Menschen führen, die ihre Lebenssituation durch diese Entwicklungen diffus bedroht sehen. Da dies aber immer noch vor dem Hintergrund einer relativ stabilen ökonomischen und haushaltspolitischen Situation geschieht, gibt es zwar eine Zunahme, aber weiterhin relativ wenige, und vor allem keine verallgemeinerten, Klassenkämpfe und Situationen, in denen ArbeiterInnen, Erwerbslose und Teile der Mittelschichten sich durch akute Maßnahmen der Herrschenden stark angegriffen fühlen. Das führt bei einem Teil dazu, dass sich ihr Denken und ihre Angstgefühle – auch aufgrund der bürgerlichen Medien, des staatlichen Rassismus und der Hetze der AfD – auf die Flüchtlingsfrage und die angebliche Terrorgefahr stärker fokussieren.
Gleichzeitig kann vor allem die AfD sich als Anti-Establishment-Partei trotz ihrer bürgerlichen Politik aufstellen und davon profitieren, dass die Regierungsparteien keine Lösung anbieten und DIE LINKE immer mehr als Partei wie jede andere gesehen wird.
DIE LINKE und Gewerkschaften
Wenn in Mecklenburg-Vorpommern mit dem Slogan „Aus Liebe zur Heimat“ in den Wahlkampf im Herbst gezogen werden soll, Sachsen-Anhalts Spitzenkandidat Wulf Gallert als „Frauenversteher“ angepriesen wird, Sahra Wagenknecht von „Gastrecht“ für MigrantInnen schwadroniert und sich für Abschiebungen straffälliger AsylbewerberInnen ausspricht, Oskar Lafontaine die Begrenzung von Flüchtlingszuzug propagiert und die Ramelow-Regierung in Thüringen munter abschieben lässt, kann es nicht wundern, dass die Partei vielleicht als „die Linke und den Parteien“ gesehen wird, aber eben auch als eine zu diesem System und Establishment gehörende Partei. Zu sehr schielen große Teile der Parteiführung auf Regierungskoalitionen mit SPD und Grünen, um mal deutlich mit der Faust auf den Tisch zu hauen und eine wirklich radikal andere Politik – in Inhalt und Form – vorzuschlagen. Nötig wäre eine offensive Kampagne, die soziale Fragen, die Solidarität mit Flüchtlingen und den Kampf gegen Rassismus verbindet. Nötig wäre es, deutlich zu machen, dass man nichts gemein hat mit all den Parteien, die seit Jahren und Jahrzehnten für Sozialkürzungen, Prekarisierung und Abbau von Arbeitnehmerrechten verantwortlich sind – inklusive SPD und Grünen. Nötig wäre es, zum Beispiel die Beschlagnahmung leerstehenden Wohn- und Geschäftsraums zu propagieren, Besetzungsaktionen zu organisieren und zu unterstützen, um bezahlbaren Wohnraum für Alle – egal ob deutsche Wohnungssuchende oder MigrantInnen bzw. Flüchtlinge – zu erkämpfen.
Schlimmer noch als die Führung der LINKEN agieren die Spitzen der Gewerkschaften. Mit ihren Millionen Mitgliedern könnten sie in den Betrieben eine Aufklärungs- und Argumentationskampagne gegen Rassismus, AfD und Co. durchführen und alleine dadurch eine Veränderung der gesellschaftlichen Debatte erzielen. Vor allem aber könnten sie den gemeinsamen Kampf für Verbesserungen von deutschen und nichtdeutschen Lohnabhängigen und Erwerbslosen organisieren. Das wäre das beste Mittel gegen Rassismus und Spaltung. Die anstehenden Tarifrunden in Bund und Kommunen, der Metall- und Elektroindustrie, im Bauhauptgewerbe, bei der Telekom, VW, der Druckindustrie und der Banken zusammen mit den Auseinandersetzungen an der Ccarité und anderen Krankenhäusern, bei Amazon, Real und anderen Betrieben könnten zu einer gesellschaftspolitischen Bewegung für die Umverteilung von oben nach unten zusammen gefasst werden. Das würde die gesellschaftliche Situation ändern und die soziale Frage in den Vordergrund drängen.
Würden LINKE und Gewerkschaften dann noch zusammen mit Mietervereinigungen, Migrantenverbänden, antirassistischen Gruppen und sozialen Bewegungen Bündnisse bilden, die den Kampf gegen Rechts mit dem Kampf gegen Schuldenbremse, Austeritätspolitik, Niedriglöhne, Wohnungsmangel etc. verbinden, könnte schnell klar gemacht werden, dass die Nazis, Rassisten, AfD’ler und Pegidisten nur eine kleine Minderheit sind.
Das geschieht aber fatalerweise nicht. Die DGB-Führung hat stattdessen eine „Allianz für Weltoffenheit“ zusammen mit dem Arbeitgeberverband und anderen Institutionen wie katholischer und evangelischer Kirche gegründet. Ein Papiertiger, der von Arbeitgeber-Präsident Ingo Kramer auch noch als Plattform genutzt wird, um Abschiebungen zu fordern. In der LINKEN wird gerade von Kräften wie Marx21 und anderen an einem Anti-AfD-Bündnis geschmiedet, das auf soziale Forderungen und auf Opposition gegen die Asylrechtsverschärfung und Abschiebungen verzichtet, um SPD und Grüne nicht zu verschrecken. Ohne das Aufzeigen auch von inhaltlichen politischen Alternativen werden die Rechten jedoch nicht gestoppt werden können. Dass es auch anders geht zeigt das „Bündnis soziales Berlin gegen Rassismus“, dass sich gerade von Aktiven aus GEW, ver.di-Jugend, junge GEW, dem Mietenvolksentscheid, LINKE, SAV und anderen gebildet hat und zu einer berlinweiten Demonstration am 16. April mobilisieren will, die den Kampf gegen Rassismus mit dem Kampf für bezahlbaren Wohnraum, öffentliche Investitionen und eine Umverteilung von oben nach unten verbindet. So heißt es in dem Aufruf: „Auch schon länger hier lebende Menschen haben es zunehmend schwerer, eine bezahlbare Wohnung zu finden. Mehrere zehntausend Wohnungen fehlen in Berlin und jährlich werden nur etwa halb so viele gebaut wie nötig wäre. Der öffentliche Dienst ist unterfinanziert und die Kolleg*innen in den Bürgerämtern und Krankenhäusern chronisch überlastet. Schüler*innen müssen in viel zu großen Klassen und viel zu oft auch in Containern unterrichtet werden. Schon jetzt fehlen in Berlin mindestens 10 Schulen, wenn die Planung nicht sofort beginnt, werden es im Jahr 2030 rund 80 sein. Egal, ob du seit 70 Jahren oder drei Monaten in Berlin lebst, egal, ob du aus Wedding, Dortmund oder Syrien kommst: Wer sich die teure Eigentumswohnung oder den Privatunterricht nicht leisten kann, ist auf die soziale Infrastruktur der Stadt angewiesen. Das Kaputtsparen hat die städtische Infrastruktur nicht erst seit dem Ankommen von mehr Geflüchteten an seine Belastungsgrenzen gebracht. Wir brauchen dringend Investitionen in Bildung, Wohnraum und Soziales! (…) Statt weiter Geflüchtete zu entrechten, sie in Lagern unterzubringen, ihnen das Arbeiten zu verbieten und zu drohen, sie zurück in Krieg, Armut und Diskriminierung abzuschieben, brauchen wir ein wirkliches Recht auf Asyl und gleiche Rechte für alle hier Lebenden! (…)
Die Rechten behaupten, die Geflüchteten seien Schuld an der Wohnungsnot, den beschlagnahmten Turnhallen und dem Geldmangel der Bezirke und nutzen so die gesellschaftliche Unterfinanzierung für ihre Propaganda. Wir stellen uns ihnen entgegen und lassen uns nicht spalten! Die Grenzen verlaufen nicht zwischen den Völkern, sondern zwischen oben und unten!“

Zuerst erschienen auf: sozialismus.info