Erfolg von Syriza – Misserfolg der Linken

Print Friendly, PDF & Email

Eine erste Bewertung der Wahlen in Griechenland. Von Michael Aggelidis

Der Wahlerfolg von SYRIZA, die mit 35,5% (im Januar 36,34%) als stärkste Kraft aus den Parlamentswahlen vom 20. September hervorgeht, ist aus zwei Gründen positiv. Erstens drückt sich darin ein Reflex breiter Schichten gegen die politische Rechte und extreme Rechte aus sowie die anhaltende Abwendung von der weit nach rechts gerückten ex-sozialdemokratischen PASOK. Die konservative Nea Demokratia mit einem weniger unpopulären Spitzenkandidaten als dem ehemaligen Regierungschef Samaras stagniert bei 28% und ist geschlagen. Zweitens hätte eine unterliegende SYRIZA – unterstellt, Alexis Tsipras hätte sich an sein Wort gehalten, nicht mit der Nea Demokratia zu koalieren – in der Opposition ihr Profil rein verbal nach links hin aufhübschen können, und das hätte den Kräften links von ihr das Leben noch schwerer gemacht.

SYRIZA ist nicht mehr dieselbe Partei, die im Januar für die Ablehnung der Memoranden und der Austeritätspolitik gewählt worden ist. Die Zustimmung zum dritten Memorandum und die rabiate Trennung von ihrem linken Flügel haben dazu geführt, dass sie keine widerständige Kraft mehr ist. Man mag einwenden, dass Tsipras und seine Regierung von der Quadriga erpresst worden sind. Das stimmt. Im Moment der Kapitulation hatte Tsipras keine Wahl mehr – seine Regierung hätte von Beginn an jedoch einen anderen Kurs einschlagen, den Bruch vorbereiten, im Land und international mobilisieren und energisch mit der Umverteilung von oben nach unten beginnen müssen. Seine Kapitulation war jedoch ein Hohn auf die über 60% der Bevölkerung, die bei der von ihm selbst organisierten Volksabstimmung „Nein!“ zur Austeritätspolitik gesagt haben. Außerdem hat er die Wende gegen alle elementaren demokratischen Spielregeln durchgezogen und dafür seine Partei und ihre Führungsinstanzen glatt übergangen. Sicher kann es sein, dass auch Syriza-Abgeordnete in Zukunft einmal gegen ihren Ministerpräsidenten stimmen können, aber das wird nicht mehr das Bild von Syriza bestimmen. Man sollte, um Legendenbildungen vorzubeugen, festhalten, dass es keine Linksabspaltung durch LAE/Volkseinheit gegeben hat, sondern, dass Tsipras durch das blitzartige Erzwingen von Neuwahlen Syriza ihres sozialen und politischen Kontextes und ihrer Genese beraubt hat und mit den ihm per Gesetz übertragenen Vollmachten die Listenbesetzung durch seine ihm treu Ergebenen sicherstellte. Damit hat er die OXI-Abgeordneten seiner Ex-Fraktion jeder Möglichkeit ihrer Wiederaufstellung beraubt. Letztere mussten dann, ob sie wollten oder nicht, eine eigene Partei gründen und hatten nur vier Wochen Zeit, die neue Kraft bekannt zu machen.

Dennoch war das schwache Abschneiden der LAE (Volkseinheit), die mit knapp unter 2,9% der Stimmen den Einzug ins Parlament denkbar knapp verpasst hat, obwohl sie zur Zeit ihrer Gründung in Umfragen auf bis zu 8% gekommen war, sicher eine große Enttäuschung. Über die Gründe muss nachgedacht werden. Offenbar war die Alternative zur Kapitulationspolitik von SYRIZA nicht klar und jedenfalls nicht glaubwürdig genug, ja vielleicht sogar nicht bekannt genug – GenossInnen berichteten mir, dass genau dies im Wahkampf ein schweres Handicap sei. Hinzu kommt, dass das radikal linke Bündnis ANTARSYA eine eigene Kandidatur durchgezogen hat, nachdem sich die LAE nicht auf ein gleichberechtigtes Wahlbündnis mit ihr eingelassen hatte. Ihre 0,85% (gegenüber 0,64% im Januar), obwohl sie im Nullkommabereich verbleiben, haben nun den Kräften links von SYRIZA für den Einzug ins Parlament gefehlt. Die KKE konnte ihren Stimmanteil mit 5,55% nicht verbessern, und ihr Einfluss ist wegen ihres extremen Sektierertums gegenüber den anderen linken Kräften leider wenig produktiv.

Erste Reaktionen aus Griechenland zeigen, dass es auch Kritik innerhalb von LAE gibt, die jetzt offen und solidarisch erörtert werden muss. Die Gefahr einer großen Resignation jedenfalls ist nicht von der Hand zu weisen, zumal jetzt nicht einmal mehr eine nichtsektiererische Anti-Memorandum-Stimme im Parlament zu vernehmen sein wird. Daher ist es auch wichtig, dass Linke aus der Bundesrepublik sich solidarisch in die Debatte einbringen, in den sozialen Netzwerken, auch in politischen Zusammenhängen, um den GenossInnen in Griechenland zu zeigen, dass sie nicht alleine sind. Die Reorganisation der Linken dort dürfte jedenfalls eher eine Sache von Jahren statt von Monaten sein. Bitter ist die Nichtpräsenz des OXI im griechischen Parlament, weil damit der Wiederaufbau noch schwieriger sein dürfte als ohnehin schon.

Die Nazipartei der Chryssi Avgi (Goldene Morgenröte) hat sich von 6,05% im Januar auf annähernd 7% verbessert und ist damit drittstärkste Kraft im Parlament geworden. Das unterstreicht die dringende Notwendigkeit möglichst breiter Aktionseinheiten gegen die Faschisten. Die drohende unsoziale Sparpolitik bei Abwesenheit einer mehrheitsfähigen Linken wird die Nazis und andere Kräfte der extremen Rechten jedoch weiter stärken, und darum kommt es jetzt ebenso auf die Aktionseinheit aller Kräfte an, die die Durchsetzung der Memorandumspolitik durch außerparlamentarische Mobilisierungen verhindern oder wenigstens maximal erschweren wollen.

Ins Auge springt die geringe Wahlbeteiligung mit 43,5%, die nicht zu den Urnen gegangen sind (gegenüber 36,4% im Januar). Einerseits ist das sehr verständlich angesichts der Erfahrung, dass die Politiker nicht halten, was sie versprechen oder, wie Tsipras, an der Regierung das Gegenteil von dem machen, was sie versprochen hatten. Andererseits ist das eine gefährliche Entwicklung, denn sie drückt in erster Linie Resignation aus. Darum muss heute wieder der außerparlamentarische Widerstand in den Mittelpunkt der Anstrengungen gerückt werden. Unerlässlich ist auch das Bemühen um den Aufbau einer linken Alternative auf der politischen Ebene – so schwer das auch zu machen ist nach den drückenden Niederlagen der jüngsten Vergangenheit, von der das Umschwenken der Tsipras-Syriza die schlimmste war. Die wird wieder mit der rechts-nationalistischen ANEL koalieren, die die 3%-Hürde knapp nehmen konnte. Man darf sich nicht darüber hinwegtäuschen, dass die neue von Tsipras geführte Regierung keinen Spielraum hat, die Umsetzung des dritten Memorandums zu unterlaufen oder substanziell abzumildern. Die Zeichen stehen also auf Widerstand gegen die Verschlimmerung von Not und Elend für breite Bevölkerungsteile. Das Kalkül von Tsipras, der durch die Blitzwahlen auch verhindern wollte, dass sich eine breite Massenwahrnehmung der neuen Kürzungen – so etwa bei den Mindestrenten – noch vor den Wahlen einstellt, kann sich durchaus noch als Bumerang erweisen.

Und für uns stehen die Zeichen mehr denn je auf Solidarität, auf die Organisierung einer internationalen Protestbewegung gegen die Politik der Quadriga und ganz besonders der Regierung Merkel/Schäuble, die ganz bewusst eine links geführte Regierung in die Knie gezwungen und eine plurale linke Kraft zerstört hat, aus der die konsequent linken Kräfte nun herausgesäubert sind, die eine „deutsche“ EU der sozialen Kälte und der Rücksichtslosigkeit gegen die Armen und Benachteiligten organisieren. Darüber hinaus gilt es Alternativen zu diesem neoliberalen, militaristischen und undemokratischen Europa aufzuzeigen. Darüber wird an anderer Stellle zu reden sein.

Michael Aggelidis ist Vorstandsmitglied und europapolitischer Sprecher des Vorstands der Partei Die Linke in NRW

Zuerst erschienen auf: sozonline.de