OXI heit nein

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Lehren aus dem griechischen Experiment über Krise, Eurozone und EU. Redebeitrag von Inge Höger auf der AKL-Veranstaltung zu EU und Griechenland am 13. September 2015 in Berlin

Noch im Juli dieses Jahres wurden Kanzlerin Merkel und ihr Finanzminister Schäuble in vielen internationalen Medien als die Zuchtmeister Europas bezeichnet. Die Bundesregierung hatte Ihr Programm der Erpressung der ersten linken Regierung in Europa so gnadenlos durchgezogen, das auch andere Mitglieder in der EU Kritik übten. Die Vormachtstellung des deutschen Kapitals in der EU war erstmalig unübersehbar.

Inzwischen versuchen Merkel und Schäuble ein ganz anderes Gesicht, nämlich das der Aufnahme von Flüchtlingen in Deutschland und der EU. Dieses Gesicht ist der Versuch, in Europa von der Kritik an der Politik Deutschlands abzulenken, es ist eine Maske, hinter der die Politik der Abschreckung und Abschottung weiter verfolgt wird.

Die Ereignisse überschlagen sich in Griechenland und in der EU. Die Folgen der Freihandels- und Kriegspolitik der EU und der NATO kommen in Form von Flüchtlingen in Scharen nach Europa. Die Finanzblase kann jederzeit erneut platzen. Und über die Erpressung der griechischen Regierung durch Schäuble und Merkel und der Kapitulation von Tsipras gibt es in der griechischen, der europäischen und auch der deutschen Linken eine rege Diskussion über politische und ökonomische Alternativen zum Austeritätskurs.

Ein Teil der LINKEn behauptet, Tsipras habe keine andere Wahl gehabt, da ein Grexit für Griechenland verherrende Folgen haben würde. Gregor Gysi gar möchte ein Denkverbot über einen möglichen Austritt aus der EU oder dem Euro beschließen lassen. Aber wenn DIE LINKE keine Konsequenzen aus dieser Niederlage zieht, macht sie sich handlungsunfähig. Ohne Alternativen zum neoliberalen Diktat gibt es keine Perspektive.

Dabei hatte alles so gut angefangen. Als SYRIZA im Januar in Griechenland die Wahlen gewann und die erste linke Regierung in der EU stellte, waren viele Menschen in Europa und in der europäischen Linken voller Hoffnung auf eine Wende der neoliberalen Sparpolitik nicht nur in Griechenland sondern bald auch in ganz Europa.

Ein halbes Jahr später hat die Syriza-Regierung noch schlimmere Auflagen der Troika unterzeichnet als ihre Vorgänger und alle Hoffnungen sind zerstoben.

Die Niederlage bzw. Kehrtwende der griechischen Regierung unter Tsipras sind Ergebnis von Illusionen der griechischen ebenso wie der europäischen und deutschen Linken in die EU und den Euro. Gescheitert sind aber nicht nur Illusionen in die EU sondern vor allem die Vorstellung eines langsamen Hineinwachsens in ein sozialistisches Transformationsprojekt durch Wahlen und eine linke Regierung.

Syriza hatte in ihrem Wahlprogramm versprochen, die von der EU aufgezwungene Sparpolitik zu beenden und trotzdem alle Schulden zu bezahlen und im Euro zu bleiben. Die Regierung wollte dieses Ziel durch Verhandlungen mit der EU erreichen und hat all ihre Energie in die Verhandlungen gesteckt, anstatt die im Wahlprogramm versprochenen Reformen umzusetzen. Es gab keinen Plan B, den man den Erpressungen von Schäuble und Co. hätte entgegen setzten können und müssen. Inzwischen ist vielen klar geworden, dass ein Ende der Austeritätspolitik mit einem Verbleib in der Euro-Zone unvereinbar ist.

Im Grunde war bereits das Abkommen am 20. Februar eine Kapitulation vor den Bedingungen der Troika. Bereits mit diesem Versuch, Zeit für Verhandlungen für eine Umschuldung zu gewinnen, hat sich die Syriza-Regierung der Mittel für eine andere Politik beraubt. Mit der Unterschrift hatte sie sich vor allem Möglichkeiten genommen, die Banken zu kontrollieren und die weitere Kapitalflucht durch Kapitalverkehrskontrollen von Anfang an zu verhindern. Sie hat sich darauf eingelassen, keine Steuergesetze zur Heranziehung der Reichen zu beschließen statt der nun verordneten Mehrwertsteuererhöhung und vieles andere mehr.

Und statt die Ergebnisse der Wahrheitskommission über die Legitimität der öffentlichen Schulden abzuwarten, wurden die Schulden trotz massiver Kapitalflucht weiter bedient. Dies war im Grunde abenteuerlich, weil die EU nicht vorhatte im Gegenzug die der Samaras-Regierung noch zugesagten Gelder an Griechenland zu zahlen. So wurde das Land weiter ausgeblutet und die EZB konnte bei Ankündigung des Referendums den Geldhahn zu machen.

Trotzdem gab es in Griechenland in der Woche vor dem Referendum noch mal eine enorme Aufbruchsstimmung für das OXI gegen eine Unterwerfung unter ein weiteres Diktat der EU. Das OXI war eindeutig ein NEIN der Mehrheit der Bevölkerung. Es war nicht nur ein NEIN zur Austerität sondern auch zum Verbleib im Euro um jeden Preis. Aber der Jubel in Griechenland und der europäischen Linken über den Erfolg des OXI war noch nicht verhalt, als Tsipras eine Erklärung der nationalen Einheit mit den abgewirtschafteten Troika-Parteien abgab, die eigentlich gerade eine krachende Niederlage erlitten hatten.

Die dann erarbeiteten Vorschläge der griechischen Regierung vom 9. Juli unterschieden sich nur wenig von den Forderungen der Gläubigerstaaten, die von 61 % der griechischen Bevölkerung abgelehnt worden waren. Und darauf haben Schäuble und Merkel bekanntermaßen noch eine Schippe drauf gelegt. Das Abkommen vom 12. Juli wirft Griechenland in den Status einer Kolonie zurück, die Regierung hat jegliche Handlungskompetenz an die EU, die EZB, den ESM und den IWF übergeben.

Widerstand gegen diese Kapitulation gab es nach der Ankündigung der Vereinbarung aus der Bevölkerung und von einem Teil der Linken Plattform in Syriza. Im Zentralkomitee der Partei stimmten 109 der 201 Mitglieder gegen das Abkommen, in der Regierung konnte Tsipras es nur mit den Stimmen des alten Regimes durchsetzen. Der Protest auf der Straße, der nach den Wahlen nachgelassen hatte, hat sich inzwischen wieder verstärkt. Insbesondere in den Tagen vor den Abstimmungen im griechischen Parlament gab es Massendemonstrationen gegen die Neuauflage der Sparpolitik und gegen Privatisierungen.

Die EU hat mit aller Gewalt bewiesen, dass sie keine Alternative zu ihrer neoliberalen Sparpolitik zulassen wird. Nachdem die Tsipras-Regierung zu Kreuze gekrochen ist und alles unterzeichnet und entsprechende Gesetze durchs Parlament gepeitscht hat, wird sie von Schäuble und Merkel und den griechischen Oligarchen mit Wohlwollen bedacht.

Dabei gab es innerhalb von Syriza auch andere Ansätze und Diskussionen. Am 17. Juni wurde das Moratorium über die Wahrheit der Schulden Griechenlands veröffentlicht. Die vom Parlament eingesetzte Untersuchungskommission hatte festgestellt, dass der Großteil der griechischen Staatsschulden illegal und unethisch ist und dass sie deshalb nicht zurückgezahlt werden müssen. Das hätte die Position der Syriza-Regierung in den Verhandlungen stärken können. Aber der Bericht hat keine Rolle gespielt, die Mehrheit der Syriza-Regierung wollte die Schuldenzahlungen nicht einstellen, sondern im Rahmen der EU-Regeln handeln, wie von Merkel und Schäuble und allen anderen immer wieder gefordert.

Die Politik der Syriza-Führung beruhte dagegen auf der Illusion, innerhalb der bestehenden europäischen Verträge und Regeln eine Politik gegen die Schuldenfalle und Sparpolitik für mehr Gerechtigkeit umsetzen zu können. Die Idee von einem Transformationsprojekt hin zu einer anderen sozialen Gesellschaft ist gescheitert.

Die Entwicklungen der letzten Monate haben gezeigt, wie begrenzt der Spielraum einer linken Regierung im Rahmen der EU, der Eurozone und des neoliberalen Kapitalismus ist. Es kann heute kein Zweifel mehr bestehen darüber, dass die EU undemokratisch,  neoliberal und militaristisch ist. Die EU und vor allem der Euro ist in erster Linie ein Instrument zur Stärkung des deutschen Kapitals, gestützt durch wirtschaftliche Eliten anderer Euro-Länder. Mit Frieden, Demokratie und Völkerverständigung hat die EU in der Realität nichts zu tun. Wie die deutsche und die europäische Linke sich zur EU positionieren, ist eine entscheidende Frage unserer Zeit. Ein Ja zu einem sozialen Europa und ein Ja zum Internationalismus erfordern ein klares Nein zur EU und erst recht zum Euro in ihrer gesamten neoliberalen Konzeption.

Für Griechenland gibt es nach wie vor nur die Alternative der Unterwerfung wie von Tsipras vorgemacht oder gestützt auf das OXI den Bruch mit dem Euro und auch der EU. Die Währungsfrage ist dabei nur Mittel zum Zweck. Politik im Interesse der Mehrheit der Griechinnen und Griechen, die seit Jahren gegen die Sparpolitik der Troika kämpfen, kann nicht durch einen bloßen Austritt aus dem Euro, durch die Rückkehr zur Drachme oder ein System von freien Wechselkursen innerhalb der EU erreicht werden.

Wirkliche Veränderungen sind nur durch eine Massenbewegung und einen grundlegenden Bruch mit den kapitalistischen Macht- und Eigentumsverhältnissen möglich. Der Grexit ist dabei durchaus entscheidend für die Souveränität des Landes und damit die Voraussetzung für gesellschaftliche Veränderungen. Ebenso wichtig sind die Übernahme bzw. der Austausch des Personals in der Hierarchie des Staatsapparates und der Banken, die Vergesellschaftung der Banken und der Schlüsselindustrien und die Einstellung des Schuldendienstes sowie Kapitalverkehrskontrollen, um weiteren Kapitalabfluss zu verhindern. Die Privatisierungen der letzten Monate müssen rückgängig gemacht werden. Es sind neue Formen der Produktion und der Wirtschaft zu entwickeln.

Zusammen mit Übergangsmaßnahmen muss der Aufbau neuer demokratischer Strukturen erfolgen, die Übertragung von Mitbestimmungsrechten auf die Belegschaften der Banken und Konzerne. Es geht darum, dem Klassenkampf der Eliten einen Klassenkampf von unten zum Aufbau von gesellschaftlicher Gegenmacht entgegenzustellen.

Und in diesem Zusammenhang müssen wir auch klären, wem unsere Solidarität bei den Wahlen in Griechenland gilt. Die Spaltung von Syriza führt zu großer Verunsicherung, gerade weil so viele Hoffnungen auf ihr ruhten. Aber die Verantwortung liegt vor allem bei Tsipras bzw. dem Teil der Parteiführung, der sich trotz des mehrheitlichen OXI dem Diktat der EU unterworfen und um Zustimmung für das Memorandum geworben hat. Mit der Ankündigung von Neuwahlen ohne einen vorherigen Parteitag zur Klärung der Linie der Partei hat der Regierungsflügel der Partei den linken Flügel vor die Alternative des Bruchs oder der Unterwerfung gestellt. Und das war wohl auch so gewollt, weil man die linken Kritiker*innen der Kapitulation loswerden wollte mit der Illusion, so die Wahlen gewinnen zu können.

Wenn wir als Antikapitalistische Linke sagen: OXI heißt NEIN! Dann müssen wir uns auf die Seite der Griechinnen und Griechen stellen, die weiter OXI sagen und gegen die Austeritätspolitik kämpfen. Die Linke Plattform aus Syriza hat zusammen mit vielen anderen Linken, die bisher bei Syriza nicht dabei waren, die Volkseinheit gegründet. Die Volkseinheit hat sich ein Programm gegeben, dass sehr viel konsequenter als das Programm von Thessaloniki gegen die Austeritätspolitik der EU Alternativen aufzeigt. Bei den Wahlprognosen zeigt sich, dass Syriza massiv Stimmen verlieren wird, wie es Linken Parteien häufig ergeht, wenn sie in Regierungen nicht mehr die Interessen ihrer Wählerinnen und Wähler vertreten. Wir sollten uns für eine starke linke Opposition zur Unterstützung der Kämpfe für Verbesserungen der einfachen Menschen einsetzten. Die AKL unterstützt deshalb bei den Wahlen in Griechenland Gruppierungen, die sich für ein Ende der Austeritätspolitik einsetzten.

Inge Höger ist Mitglied im Bundessprecher*innen-Rat der Antikapitalistischen Linken.